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Im Bann des Mondes

Im Bann des Mondes

Titel: Im Bann des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Callihan
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Daisys Gegenwart aufhielt, desto mehr fühlte er.
    In seinem Innern winselte der Wolf beschwichtigend, als wollte er Ian daran erinnern, wie es einst gewesen war und wie gut es sich angefühlt hatte, mit dieser Kraft bis an seine Grenzen zu gehen. Er stieß ein hilfloses Lachen aus. Ja, er liebte das Tier, und das war die Krux daran. Liebe und Hass. Zwei Seiten derselben Münze.
    Er nahm Daisys warmen, sauberen, vollen Duft wahr, ehe er das leise Rascheln ihrer Röcke auf der Treppe hörte. Der Schatten eines Lächelns umspielte seine Lippen. Sie würde sich ihm niemals unbemerkt nähern können. Jetzt kannte er ihren Geruch, als wäre es sein eigener. Das Lächeln verschwand, als sie den Raum betrat, denn er mochte zwar ihren Duft besitzen, aber niemals sie. Gutes Benehmen und Respekt verlangten, dass er sich erhob und sie begrüßte, doch er konnte seine Glieder kaum dazu bringen, ihm zu gehorchen. Er wollte nicht wieder Abscheu und Angst in ihren Augen sehen.
    »Guten Morgen.« Seine Worte klangen belegt, als würde er durch ein Tuch sprechen, und er bemühte sich, um einen leichteren Tonfall. »Wollen wir frühstücken?«
    Unschlüssig stand sie in der Tür und wirkte so erschöpft, dass ihm das Herz ganz schwer wurde. Er sprach, um die unangenehme Stille zu beenden. »Ich habe jemanden losgeschickt, um deine Sachen zu holen.« Sie trug das Kleid, das sie auch gestern angehabt hatte. Zwar war es ramponiert und schmutzig, aber es schmiegte sich an ihre Rundungen und schimmerte, wenn sie sich bewegte.
    Sie räusperte sich. Ein leiser Laut, der jedoch ihr Unbehagen ausdrückte. »Du hättest dir nicht die Mühe zu machen brauchen. Ich kann auch nach Hause, um mich umzuziehen.«
    Ian wusste, dass er ein wütendes Gesicht machte. Diese Frau! Sah sie denn nicht, dass es kein Zurück gab? Nicht mehr. Seltsamerweise schien seine Verärgerung ihr Auftrieb zu geben. Sie warf ihm einen scharfen Blick zu und setzte sich dann energisch in Bewegung, als sei sie entschlossen, das Beste aus einer verfahrenen Situation zu machen.
    Die Stille lastete schwer auf ihnen, während sie einander gegenübersaßen und zu frühstücken begannen. Daisy nahm sich einen gebutterten Toast. Mit sauberen, weißen Zähnen biss sie in das knusprige Brot.
    Himmel, es hatte fast etwas Häusliches, gemeinsam mit ihr eine Mahlzeit einzunehmen, als wäre sie ganz schicklich seine Frau. Nur dass nichts Schickliches daran war, wie er fühlte, wenn er beobachtete, wie ihre kleine, rosige Zunge verirrte Butterkrümel aus dem Mundwinkel leckte. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her, und sie ertappte ihn dabei, dass er sie beobachtete. Mit einem leichten Stirnrunzeln ließ sie das Stück Brot sinken und sah es an, als wüsste sie nicht recht, was es war.
    Ihre Stimme klang bedauernd, als sie anfing zu sprechen. »Northrup …«
    »Ich weiß nicht, wie ich mich entschuldigen soll«, erklärte er. »Es gibt keine Möglichkeit, dadurch etwas ungeschehen zu machen. Ich kann zwar sagen, dass ich nicht ich selbst war, doch das wäre nicht ganz richtig. Denn das gestern Abend war natürlich ich. Zumindest ein großer Teil von mir.« Scham erfüllte ihn. »Ich versuche, es zu beherrschen, aber das Tier ist immer da und will hinaus.«
    Daisy wandte den Blick ab und zog die schmalen Augenbrauen zusammen. Das Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster fiel, tauchte sie in Silber und Gold, sodass er dem Drang widerstehen musste, den Arm auszustrecken und mit der Fingerspitze über ihre schmale Nase zu fahren.
    »Zumindest weißt du, wer du bist.« Sie sah ihn wieder an. »Es gibt Tage, da schaue ich in den Spiegel und erkenne mich selbst nicht. Ich bestehe nur noch aus Formen und Farben. Eigentlich weiß ich kaum mehr, wer ich überhaupt bin oder ob ich überhaupt jemand bin.«
    Ich weiß, wer du bist
, wollte er rufen.
Du bist tapfer und lustig. Eine frische Brise in dieser erstickenden Stadt … und völlig blind, wenn du nicht siehst, was ich bin
. Ian schuldete es ihr, ihr das klar zu machen. »Dann beneide ich dich«, sagte er. »Denn ich hatte so viele Leben Zeit, mir jede einzelne Linie meines Gesichts einzuprägen, dass ich den Anblick nicht mehr ertragen kann.«
    Ihre schönen Augen sahen ihn betrübt an, als täten ihr seine Worte weh. Er verstand es nicht, auch nicht, als sie fragte: »Warum?«
    Ian wollte den Blick abwenden, tat es aber nicht. Bei ihr nicht. »Ich sehe aus wie mein Vater, ehe er durch die Brandwunden entstellt wurde. Ich sehe wie

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