Im Bann des Nebels, 2, Der ewige Bund (German Edition)
Weil sein Auto noch nicht repariert war und Melanie mit dem Fahrrad gekommen war, holte er sein Moped aus der Tiefgarage, und sie machten sich auf den Weg. Unterwegs warf Melanie ein paar heimliche Blicke zu ihm hinüber. Warum musste Sonja bloß einen so gut aussehenden Bruder haben? Er hatte grüne Augen, seine dunklen Haare wehten im Fahrtwind, seine schwarze Lederjacke sah einfach cool aus, und abgesehen davon, dass er roh, gefühllos, herablassend und blöd war und Pferde nicht mochte, fand sie ihn eigentlich ziemlich toll. Aber das war natürlich Blödsinn, und sie konnte auch aufhören, sich etwas vorzumachen. Erstens war er viel zu alt für sie und würde sich vermutlich demnächst eine Freundin suchen, die mindestens schon siebzehn war. Und zweitens war Melanie Vittori für ihn nichts weiter als die lästige Freundin seiner kleinen Schwester. Mehr nicht.
Erst als sie vor dem weißen Bungalow hielten, in dem Melanie mit ihren Eltern wohnte, wurde ihr plötzlich klar, dass dies kein einfaches Gespräch werden würde. Sie konnte sich noch sehr gut an den Tag erinnern, als Sonja mit ihrem Fahrrad mitten in die Herbstblumen vor dem Haus hineingefahren war, weil Frau Vittori Philipp als »Kriminellen« bezeichnet hatte. Vor ein paar Jahren hatte P hilipp sein Moped so frisiert, dass es nicht nur achtzig Kilometer in der Stunde fahren konnte, sondern dabei auch noch klang wie ein startender Düsenjäger. Damit war er durch die kleine Stadt gebrettert, verfolgt von vier Polizeiwagen, hatte die folgende Nacht in einer Gefängniszelle verbracht und war anschließend von Herrn Vittori zu zweihundert Sozialstunden und einer Geldstrafe verurteilt worden. Melanies Mutter hatte mal gesagt, es täte ihr richtig leid, dass Leute wie Philipp Berger heutzutage nicht mehr nach Australien abgeschoben werden dürften.
Und jetzt stand das – mittlerweile wieder unfrisierte – Moped vor Familie Vittoris Haus, und Philipp marschierte schnurstracks auf die Tür zu und klingelte.
Hoffentlich ist Mama nicht da, dachte Melanie. Mit Papa kann man wenigstens reden, aber –
Mama öffnete die Tür. Und Mama wurde ganz weiß um die Nase, als sie Philipp neben ihrer Tochter stehen sah. »Melanie!« Ihre Stimme war schrill. »In dein Zimmer! Sofort!«
»Tag«, sagte Philipp. »Ich möchte mit Ihnen reden.«
»Sie! Verlassen Sie sofort mein Grundstück! Melanie! Hast du nicht gehört?«
Melanie zögerte. Wenn sie jetzt gehorchte, würde Mama Philipp einfach die Tür vor der Nase zuschlagen. Wenn sie aber nicht gehorchte, würde sie mächtigen Ärger bekommen. »Mama, wir müssen dich was fragen!«
»Sozusagen eine Rechtsberatung«, ergänzte Philipp.
Frau Vittori musterte ihn angewidert. »Wenn Sie eine Rechtsberatung brauchen, fragen Sie Ihren Bewährungshelfer!«
Philipp seufzte. »Können Sie von dem Trip mal wieder runterkommen, Frau Vittori? Ich bin weder ein Dieb noch e in Mörder, und ich brauche einfach nur ein paar Tipps, um einem Freund zu helfen, der in der Klemme steckt. Wovor haben Sie eigentlich solche Angst?«
»Angst? Ich habe keine Angst – schon gar nicht vor Ihnen! Ich will nicht, dass meine Tochter sich mit Kriminellen abgibt!«
»Zu spät«, antwortete er gelassen, und allein dafür wäre Melanie ihm am liebsten um den Hals gefallen. »Vertrauen Sie doch einfach darauf, dass Melanies guter Einfluss mich auf den Pfad der Tugend zurückbringt – oder so ähnlich. Und seien Sie mal ein bisschen professionell. Man sollte ja fast meinen, dass Sie keine Rechtsberatung machen wollen. Ich dachte, so etwas ist Ihr Job.«
Frau Vittori schnappte nach Luft. »Komm ins Haus, Melanie! Sofort!«
Melanie schüttelte den Kopf. Um nichts in der Welt wollte sie das verpassen. Und jetzt gerade stand sie so fest und unverrückbar auf Philipps Seite wie noch nie zuvor. Er hatte recht – worüber regte Mama sich überhaupt so auf? Warum verabscheute sie ihn so sehr? Doch sicher nicht wegen eines frisierten Mopeds?
»Ich will Ihnen mal etwas sagen«, zischte Melanies Mutter. »Ich habe jetzt Feierabend. Meine Sprechzeiten sind montags bis freitags von neun bis zwölf Uhr. Wenn Sie dann in mein Büro kommen, bin ich vielleicht bereit, mich mit Ihnen abzugeben. Aber nicht in meinem Privatleben! Melanie, zum letzten Mal, komm rein – oder du kannst gleich ganz draußen bleiben!«
Das war wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Melanie zuckte zusammen und starrte ihre Mutter ungläubig an. »Mama!«
Ihre Mutter biss sich auf die
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