Im Bann des Prinzen
haben die meisten Bilder vernichtet, nachdem wir geflüchtet waren.“ Sein lockeres Lächeln stand in krassem Gegensatz zu dem Schatten, der über sein Gesicht huschte. „Das Internet gab es damals ja noch nicht.“
Das Ausmaß seiner veränderten Lebensumstände machte sie tief betroffen. Und sie hatte gedacht, sie hätte es schwer gehabt, nachdem sie Louisiana verlassen musste, als ihr Mann verhaftet worden war und dann Selbstmord begangen hatte. Wie tragisch, wenn die eigene Vergangenheit ausgelöscht wurde.
Man musste einfach Mitleid mit Tony haben, nach allem, was er durchgemacht hatte. „Ich habe gelesen, dass deine Mutter gestorben ist. Das tut mir leid.“
Er machte eine abwehrende Geste. „Als wir nach … dorthin kamen, wo mein Vater jetzt lebt, waren wir sehr isoliert. Aber zumindest hatten wir noch den Ozean. Draußen auf den Wellen konnte ich alles andere vergessen.“
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und starrte an ihr vorbei, ganz offensichtlich in Erinnerungen versunken. War es die richtige Entscheidung, sich in seine Obhut zu begeben? Shannon kam immer mehr zu der Überzeugung, dass die Antwort darauf Ja lautete.
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. „Was denkst du?“
„Ich dachte, vielleicht hast du Lust, es im nächsten Frühjahr zu lernen. Es sei denn, du bist schon Profi?“
„Surfen? Wohl kaum.“ Der Frühling war noch weit weg. Die Vorstellung, auf einer Welle zu reiten, bereitete ihr ein mulmiges Gefühl, genauso wie die Vorstellung, sie könnte so lange mit Tony zusammen sein. „Vielen Dank für das Angebot, aber ich passe.“
„Angst?“ Er strich ihr mit dem Handrücken über die Schulter, und sofort durchströmte sie wieder diese wohlige Wärme.
„Himmel, ja. Angst davor, verletzt zu werden“, erklärte sie vieldeutig.
Tonys Hand verharrte direkt über ihrem klopfenden Herzen. Verlangen packte sie, und auch Tonys Erregung war unmissverständlich. So war es von Anfang an gewesen. Aber sie durfte sich nicht hinreißen lassen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, mehr über Tony in Erfahrung zu bringen. Jedenfalls nicht heute Abend.
Sie entzog sich ihm, ihr Körper war angespannt. Sie brauchte jetzt den unbekümmerten Tony. Keine ernsten Einblicke in die Abgründe der Vergangenheit. „Surfen ist nichts für mich. Hast du je versucht, dich mit einem gebrochenen Bein um ein Kleinkind zu kümmern?“
„Wann hast du dir denn das Bein gebrochen?“ Er kniff die Augen zusammen. „Hat dein Mann dir wehgetan?“
Wie kam Tony so schnell darauf?
„Nolan war ein Betrüger und manipulativ, aber er hat mich nie geschlagen.“ Sie zitterte. Die Richtung, die das Gespräch nahm, gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie hatte mehr über Tony erfahren wollen. Nicht andersherum. „Müssen wir darüber reden?“
„Wenn es wahr ist?“
„Er hat mich nicht misshandelt.“ Zumindest nicht körperlich. „Mit einem Kriminellen verheiratet gewesen zu sein ist schon schlimm genug. Das Wissen, dass ich die Zeichen nicht erkannt habe … Die Fragen, ob ich mich taub und blind gestellt habe, weil mir der Lebensstil gefallen hat … Ich weiß nicht mal, wo ich anfangen soll, Erklärungen zu suchen.“
Erschöpft sackte sie zusammen.
„Mir fällt es schwer, mir vorzustellen, dass du jemals den leichten Weg wählen würdest.“ Sanft strich Tony mit dem Daumen unter ihren Augen entlang, wo mit Sicherheit dunkle Ringe ihr Gesicht verunstalteten. „Du solltest schlafen gehen. Wenn du willst, bringe ich dich ins Bett“, schlug er vor und zwinkerte ihr zu.
Sie fand, dass sie mit dem alten Tony sehr viel besser umgehen konnte als mit Antonio, dem Prinzen. „Das soll ein Witz sein, oder?“
„Vielleicht …“ Und im selben Moment blitzte das Verlangen in seinen Augen wieder auf, diesmal noch intensiver. „Shanny, ich würde dich die ganze Nacht lang halten, wenn du es mir erlaubst. Ich würde dafür sorgen, dass niemand dich oder deinen Sohn wieder bedroht.“
Wie gern würde sie sein Angebot annehmen. Aber schon einmal hatte sie sich auf einen Mann verlassen … „Wenn du mich festhältst, das wissen wir beide, bekomme ich keinen Schlaf, und auch wenn mir das heute Nacht Freude bereiten würde, käme morgen die Reue. Meinst du nicht, wir haben im Augenblick genügend andere Probleme?“
„Okay …“ Tony drückte noch einmal ihre Schulter, bevor er sich erhob. „Gute Nacht.“
Shannon stand ebenfalls auf, die Hände zu Fäusten geballt, um sie nicht nach Tony
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