Im Banne des stuermischen Eroberers
durch den Leib zu schicken. Wenn er bei ihr war, schien ihr, als vibriere ihr Körper, als erfülle sie ein Feuer, als durchbrause sie ein Sturm. Durch ihn fühlte sie sich lebendig. Ob sie nun ihre Willenskraft maßen, im geistigen Wettstreit lagen oder sich den Sinnesfreuden hingaben - in Hethes Nähe fühlte sie sich einzigartig. Durch ihn empfand sie sich als fähig, als schön, als etwas Besonderes. Wenn er sie ansah, erkannte sie Bewunderung und Wertschätzung in seinen Augen, und unter seinem Blick blühte sie auf wie eine Blume in der Sonne.
Sie liebte ihn.
Dieses Eingeständnis rührte an etwas tief in ihrer Seele, und sie wusste, dass es stimmte. Sie liebte ihren Gemahl, den „Hammer
of Holden“. Sie durfte ihn nicht verlieren. Und sie würde es nicht, beschloss sie grimmig. Joan hatte versichert, er schwebe nicht länger in unmittelbarer Gefahr. Auch diesen neuesten Übergriff würde er überstehen - und Helen würde persönlich dafür sorgen, dass es verflixt noch mal der letzte war.
Tief atmete sie durch, richtete sich langsam auf, tätschelte Goliath den Kopf und schaute sich um. War die Erde auch inzwischen getrocknet, so war sie gestern, als Hethe hergeritten war, vom Regen noch schlammig gewesen. Daher waren die Fährten deutlich zu sehen, selbst für sie. Sie erkannte die Hufabdrücke zweier Pferde. Das eine war Hethes Tier gewesen, denn die Spuren kamen aus Richtung Tiernay. Das andere Pferd hatte sich offenbar aus der anderen Richtung genähert, auf Tiernay zu.
Helen runzelte die Stirn. Stephen war doch auf Tiernay gesehen worden - wie hätte er da aus Richtung Holden kommen können?
Abermals betrachtete sie die Abdrücke, die Hethes Pferd hinterlassen hatte. Ihr fiel auf, dass er gerade dabei gewesen sein musste, das Tier zu wenden. Womöglich hatte er den Angreifer bemerkt und versucht zu fliehen. Das aber konnte nicht sein. Hethe war kein Mann, der einem Kampf auswich. Vor einem Wortgefecht flieht er vielleicht, dachte sie, nicht jedoch vor einem echten Gefecht. Niemals.
Fürs Erste schob sie diesen rätselhaften Umstand beiseite und musterte die Spuren sorgsam. Es war nicht zu übersehen, dass jemand aus Richtung Holden herangeritten war. Stephen? Diese Hufspuren vermengten sich mit denen von Hethes Reittier und führten weiter auf Tiernay zu. Hinter der Stelle, wo Hethe gestürzt war, wurden sie tiefer, vermutlich durch das zusätzliche Gewicht, welches das Pferd zu tragen hatte. Ein Stück weiter stieß eine weitere Fährte hinzu. Der Reiter hatte sich von links genähert und musste ebenfalls von Tiernay gekommen sein. Diese Spur lief auf Holden zu, wohin sich auch Hethe ursprünglich gewandt hatte. Ihr Gespür sagte Helen, dass es sich um die Fährte handelte, die Stephen bei seinem Ritt zurück hinterlassen hatte.
Sie führte ihre Stute vorbei an der Stelle, an der Hethe gestürzt war. Aus der Satteltasche zog sie seine Tunika, faltete sie so, dass der Rücken nach außen wies und somit auch das Blut, von dem sie glaubte, dass es nicht das von Hethe war. Sie rief Goliath herbei und hielt ihm das Kleidungsstück unter die Nase. Er schnupperte kurz daran und beschnüffelte danach den Boden. Bald darauf bellte er und scharrte an einer Stelle.
Helen zog ihr Pferd hinter sich her, um zu schauen, was der Hund entdeckt hatte. Als sie einen Blutfleck erspähte, wurden ihre Augen schmal. Sie hatte Glück im Unglück - Stephen war tatsächlich verwundet worden und hatte eine Blutspur hinterlassen. Rasch schwang sie sich aufs Pferd und nahm die Zügel auf.
„Los!“, befahl sie Goliath vom Sattel aus. „Such!“
Goliath schoss davon und folgte dem Weg eine Weile, ehe er auf einen weniger ausgetretenen Pfad schwenkte, den Helen ohne ihn niemals bemerkt hätte. Eine Zeitlang folgten sie dem neuen Pfad, bis er auf eine Wiese mündete, auf der eine kleine Kate stand. Helen wusste, dass sie sich bereits auf Holden-Land befanden. Goliath trottete zur Tür, setzte sich und wartete geduldig.
Helen ließ ihre Stute halten und musterte wachsam die Lichtung. Von einem anderen Pferd war keine Spur zu sehen - und ebenso wenig von Menschen. Sie drehte sich im Sattel und schaute bang den Weg zurück, den sie gekommen war. Als sie losgeritten war, hatte sie keine Furcht verspürt, dazu war sie zu entschlossen gewesen. Nun allerdings wurde ihr plötzlich bewusst, wie allein sie war.
Goliath winselte und zog damit ihren Blick auf sich. Sie war nicht allein. Es ist an der Zeit, die Angelegenheit zu
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