Im Bett mit
die größte Tragödie ihres Lebens sie schockartig in die Realität zurückstieß: der Selbstmord ihres ihr so ähnlichen und doch so wenig verstandenen Sohnes in Mayerling. Von da an wurde sie zu einem schwarzen Schatten ihrer selbst. Als hektisch Getriebene versuchte sie, in spiritistischen Sitzungen eine Verständigung mit dem Verstorbenen zu erreichen, um nachzuholen, was sie im Leben versäumt hatte: Verständnis und Ermutigung, die Rudolf in seiner Lebenszeit so dringend gebraucht hätte, konnte sie dem Toten nicht mehr bieten, ihre Bemühungen, eine Brücke zu ihm zu errichten, endeten im Leeren. Denn, wie sie resignierend feststellte: »Die Geister sprechen nur dann zu uns, wenn der große Jehova es ihnen erlaubt.«
Von da an zog sie ruhelos von Ort zu Ort, von Land zu Land, bis sie in der Schweiz, am Ufer des Genfer Sees, ihr Schicksal durch die Feile eines politischen Wirrkopfs ereilte, der sich davon Berühmtheit versprach. Dass er der an ihrem Weltschmerz zerbrochenen, mit ihrem Älterwerden hadernden Frau damit eher eine Wohltat erwiesen hatte, konnte er nicht ahnen. Ihr letztes Prunkbett war der Katafalk ihrer grandiosen Aufbahrung im Wiener Stephansdom. Und ganz Wien bedauerte den Verlust einer poetischen Schönheit, die in der Kaiserstadt zu Lebzeiten so wenig Verständnis gefunden hatte.
Intermezzo VIII
Emanzipation im Bett?
Europa veränderte sich im Gefolge der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die der Erste Weltkrieg mit sich gebracht hatte. Alte Machtstrukturen wurden durch neue ersetzt, der Einfluss des Adels wie der Kirche war weitgehend gebrochen. Neue Bedrohungen setzten das arrivierte Bürgertum in Angst und Schrecken. Die erstarkte sozialdemokratische Bewegung forderte für die Arbeiterschaft einen gerechten Anteil an den wirtschaftlichen Ressourcen. Kommunismus und Anarchie brachten die meist mühsam installierten Regierungssysteme an den Rand der Auflösung. Neue kulturelle Einflüsse machten sich vor allem in Großstädten wie Paris, London und Berlin bemerkbar. Aus den USA schwappten bisher unbekannte ethnische Musikformen wie Jazz und Blues nach Europa herüber – »Negermusik«, wie sie in nationalistischen Kreisen pejorativ genannt wurden. Bald war es auch in Wien vorbei mit der ungetrübten Walzerseligkeit, man tanzte Charleston und Tango und die Damen zeigten Bein. Ein neues weibliches Schönheitsideal hatte Korsett und bodenlange Röcke hinweggefegt. Anstelle komplizierter Langhaarfrisuren war der Bubikopf getreten, und wer auf die sich anbahnende Emanzipation des Weiblichen setzte, griff mit eleganter Geste nach dem Zigarettenspitz, um der rauchenden Männerwelt nachzueifern. Bald machten sich Frauen – wenn auch vereinzelt – in der alten Männerdomäne der Universitäten bemerkbar. Kurz, die Lebensgewohnheiten veränderten sich radikal, soweit es die weibliche Seite der Gesellschaft betraf. Ehescheidungen, die früher unweigerlich zum gesellschaftlichen Ruin geführt hätten, waren bald ebenso an der Tagesordnung wie voreheliche Beziehungen, die früher unweigerlich zum gesellschaftlichen Ruin geführt hätten.
Eine neue Form der Unterhaltungsindustrie lockte die jungen Paare scharenweise in die allerorts entstehenden Kinos, und die sich allmählich etablierende Autoindustrie sorgte für neue Formen der Mobilität. Die Welt war, vor allem soweit es das alte Europa betraf, auf allen Gebieten im Umbruch und bereit, sich auf eine bisher noch nie dagewesene Weise zu erneuern. Unter diesen Umständen kann es uns nicht wundern, dass auch das Bett nicht mehr das war, was es im »Jahrhundert der Prüderie« dargestellt hatte, nämlich ein sorgsam gehütetes intimes Geheimnis, das man vor fremden Augen verbarg. Jetzt wurde es in den Mittelpunkt der Möbelschaufenster gestellt, nicht selten mit einer attraktiven Modepuppe als Blickfang. Das Schlafzimmer als solches hatte viel von seinem Nimbus eingebüßt, woran nicht zuletzt auch die Wohnungsnot der Nachkriegszeit mitschuldig war. Junge Paare konnten von Glück sagen, wenn sie eine einigermaßen erschwingliche Zweizimmerwohnung ergattern konnten. Die großen Zimmerfluchten der Vorkriegszeit existierten zwar noch, doch finanzielle Nöte brachten so manche Hofrats- oder Offizierswitwe dazu, den größten Teil ihrer überkommenen Sechs-Zimmer-Suite an Studenten oder allein lebende Frauen wie die immer zahlreicher werdenden Lehrerinnen und Sekretärinnen zu vermieten. Auch männliche Mieter waren von Witwen in den
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