Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)
»Wir lassen euch beinahe hier!«, doch es fehlt noch ein weiteres Paar und es dauert noch eine Weile, bis wir abfahren können. Dave und Stacy befinden sich bereits im Bus, reden und lachen, sitzen nebeneinander. Dave scheint meine Abwesenheit nicht bemerkt zu haben. Ich betrachte seinen Hinterkopf, die kleinen Härchen am Nackenansatz, und denke Ich habe dich betrogen. Zum ersten Mal in unserer Ehe. Eine Erfahrung, die mir denkwürdig und vorbestimmt erscheint. Wie leicht ich die Grenze überschritten habe von dem Menschen, der ich war, zu dem, der ich bin – von der treuen Ehefrau zur Ehebrecherin. Ich fühle mich himmlisch, habe allerdings höllische Schuldgefühle. Ich möchte lachen und weinen zugleich. Ich bin sicher, dass ich anders aussehe, anders klinge. Während Dave und Stacy mit der Leichtigkeit langjähriger Freunde oder Liebender miteinander plaudern, gleitet Grahams Hand unter meinen Schenkel. Sollte Dave auf die Idee kommen, sich umzudrehen, würde ihm nicht entgehen, dass mir das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben steht, genauso deutlich sichtbar wie die Spuren der Nadeln auf Stacys Arm. Würde er wütend, traurig oder gar erleichtert reagieren?
Schließlich springt der Motor an, der Bus verpestet die Luft mit einer geballten Ladung Auspuffgas und wir fahren in halsbrecherischem Tempo den Berg hinunter. Dunkler Rauch steigt aus den armseligen Hütten an der kurvenreichen Straße auf, schwarzer Staub vermischt sich mit dem Regen. Die ganze Welt ist grau in grau. Graham zieht seine Strickjacke aus und legt sie um meine Schultern. Er hebt die Hand, um mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. An seinen Fingern haftet ein vertrauter Geruch.
11
Im Winter, wenn es regnete, säuberte Amanda Ruth den kleinen Eisenofen im Bootshaus mit Handfeger und Kehrblech und ich holte eine Schachtel Streichhölzer aus der alten Blechdose neben dem Fenster. Amanda Ruth war geschickt, wenn es galt, Feuer zu machen. Es war, als ob ihre Berührung ausreichte, um Papier und Holz zu entflammen, mochten sie auch noch so feucht sein.
Sie knüllte mit den Fingern die alte Zeitung zusammen, dann tauchte ihre Hand in die Dunkelheit des Ofens ein. Sie schichtete Kienspäne auf, einen quer über den ande ren, und errichtete Stück für Stück einen Stoß. »Vier müs sen es insgesamt sein«, sagte sie. »Einer weniger und es würde nicht brennen, einer mehr wäre Verschwendung.« Dann stapelte sie die Holzscheite übereinander, blasse Dreiecke mit dem Geruch nach Erde, wobei sie zuerst Käfer und Insekten entfernte, die sich in dem Holzstoß verkrochen hatten, damit sie nicht zu Schaden kämen. Sie nahm ein Streichholz aus der Schachtel, die geöffnet auf meiner Handfläche lag, und zündete es an – es brannte sofort –, mit einem einzigen sauberen Strich über die Reibefläche. Dann hielt sie es unter die Kante des Zeitungspapiers. Die Kienspäne begannen an den Rändern zu glimmen und wurden orangerot, dann kroch die Hitze langsam in die Mitte des Ofens und das Holz fing Feuer. »Fertig«, sagte sie, machte die Ofentür zu und öffnete die Lüftungsklappe bis zum Anschlag. Ich staunte immer wieder, wie unerschütterlich sie ihrem Instinkt vertraute und die Ofentür schloss, noch bevor wir sehen konnten, ob das Feuer voll zum Leben erwachte. Wenige Augenblicke später geschah dies jedoch immer, ich hörte das mächtige Getöse des Feuersturms, der im Ofen entfacht wurde, und sah die glutroten Holzscheite durch die schmale Lüftungsklappe. Wir saßen unter einer Decke auf dem knarzenden Holzfußboden, während sich der Raum langsam erwärmte.
Manchmal nahmen wir Steine aus dem Fluss mit und legten sie auf die Herdplatte. Nach geraumer Zeit wickelten wir die heißen Steine in Geschirrtücher und schoben sie unter die Decke, ans Fußende der Matratze. Die Hitze über trug sich zuerst auf unsere Füße, dann erreichte sie Waden, Oberschenkel und Bauch. Manchmal nahm sie einen eingewickelten Stein kurz in die Hand und legte sie dann auf meinen nackten Körper. Der Abdruck ihrer Hand war wie eine Feuerzunge, meine Haut entflammte unter ihrer Berührung. Manchmal glitt ihr heißer Finger in mich hinein, dieses Gefühl war unbeschreiblich, eine Offenbarung – all meine Albträume und Träume in einem einzigen explosiven Moment vereint: ihr Finger, meine Angst, der Geruch nach Imprägnierungsmittel, der dem Holz anhaftete, der Regen, der auf das Blechdach trommelte, die Erinnerung an den dunklen Fluss vor dem
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