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Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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dulde solche ekelhaften Dinge nicht unter seinem Dach, und stürmte aus dem Haus.«
    »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so in Rage war«, fügte Allison hinzu.
    »Du weißt ja, wie Mom ist«, sagte Amanda Ruth. »Sie tat, als sei nichts geschehen. Sie fragte, ob wir Lust auf Dosenpfirsiche mit Sprühsahne hätten.«
    Zwei Tage später brachte Nancy Eliot das Essen, das wir bestellt hatten: ein gegrilltes Käsesandwich für Dave, einen Burger für mich. Dazu zwei Gläser Eistee und einen sahnigen Schokoladenmilchshake, den wir uns teilen.
    Ich erinnere mich, dass an jenem Tag alles wie am Schnürchen zu laufen schien. Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mit Amanda Ruth alleine zu sprechen, doch wir wollten uns vor meiner Rückkehr nach New York treffen, sobald Allison und Dave weg waren. Sie hatte gemeint, wir könnten einen Abstecher zum Fluss machen, vielleicht Garnelen grillen, mit dem Boot nach Petite Bois Island hinausfahren.
    Ich genoss Daves Aufenthalt in Mobile. Ich war aufgeregt bei dem Gedanken, Amanda Ruth alleine zu treffen, ich freute mich allerdings auch auf die Rückkehr nach New York, auf mein Studium und den neuen Bekanntenkreis, in den Dave mich eingeführt hatte – Leute, die es beruflich zu etwas gebracht hatten, mit geschmack voller Garderobe und interessanter Wohnungseinrichtung. Dave nahm mich in kleine experimentierfreudige Theater und exotische Restaurants mit, in die ich vorher nie gegangen wäre: äthiopische und griechische, indische und malaysische. Ich war achtzehn, er war vierundzwanzig und kam mir unglaublich reif vor, ganz anders als die grünen Jungen aus der Highschool. Ich fand ihn attraktiv, nett, humorvoll und konnte nicht umhin, mich zu fragen, wie es wohl sein mochte, ihn zu küssen.
    »Habt ihr noch einen Wunsch?«, fragte Nancy.
    »Nein danke.«
    Sie entfernte sich ein paar Schritte von unserem Tisch, dann drehte sie sich um und kam zurück. »Ihr habt es vermutlich schon gehört, oder?«
    »Was gehört?«
    Nancy stützte beide Hände auf die Tischplatte und beugte sich vor, als wollte sie uns ein Geheimnis verraten. Sie sprach mit leiser Stimme, ihre Augen waren weit aufgerissen. Auf der rechten Schulter ihres T-Shirts hatte sie einen Ketchup-Fleck. Ein blauer Bic-Kugelschreiber fiel aus ihrer Schürzentasche und landete auf unserem Tisch. »Ein Mädchen aus unserer ehemaligen Klasse wurde heute Morgen tot aufgefunden. Ihre Leiche lag hinter der Rollschuhbahn. Erwürgt.«
    »Wer denn?«
    In dem Augenblick verspürte ich eine ungezügelte, geradezu krankhafte Neugierde, die nicht das Geringste mit Bedauern zu tun hatte. Ich konnte es kaum erwarten, alle Einzelheiten zu erfahren – wer, wann, wo, wie und wenn möglich warum. Das Erste, was mir in den Sinn kam, war das Gesicht von Samantha Arnold, eine Cheerleaderin mit einem Freund, der nicht mehr ganz dicht war und sie einmal während einer Party verprügelt hatte, im Beisein ihrer Freunde, die untätig herumstanden. Sie gehörte zu der Sorte Mädchen, die solche Tragödien geradezu herauf beschworen, Mädchen, deren Tod schlussendlich niemanden wunderte.
    »Ich kannte sie kaum«, sagte Nancy. Ihr Familienname war Lee.«
    Ihr Familienname war Lee. Das war der Augenblick, in dem meine Welt aus den Fugen geriet, der Augenblick, in dem nichts mehr so war wie früher. Ich ging die Liste der Namen durch, überlegte krampfhaft, wen ich sonst noch mit dem Nachnamen Lee kannte. Panik, gleich darauf er leichtertes Aufatmen, die vage Erinnerung an ein Mädchen namens Danielle, die im Chemieunterricht vor mir saß. Sie war schlampig gekleidet, aber nett und bestand selten einen Chemietest. In unserem letzten College-Jahr drückte sie mir an Halloween eine kleine Papiertüte in die Hand, die mit Süßigkeiten gefüllt war.
    »Danielle Lee.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich sah Nancy an, Bestätigung suchend.
    »Nein, nicht Danielle. Amanda Ruth Lee. Erinnerst du dich? Hübsches Mädchen. Chinesin oder so.«
    Dave war aufgesprungen. Er setzte sich neben mich, legte seinen Arm um meine Schultern, das Gesicht zu mir herabgebeugt. »Wir möchten zahlen«, sagte er.
    »Tut mir Leid, ich wusste nicht, dass ihr befreundet wart.«
    »Bring uns bitte die Rechnung.« Dave schloss mich in seine Arme. Er schaffte es zu zahlen, ohne mich loszulas sen, holte irgendwie sein Portemonnaie aus der Tasche und legte einen Stapel Dollarscheine auf den Tisch. »Komm, wir fahren«, sagte er, half mir beim Aufstehen und führte

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