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Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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Zärtlichkeit in mir auf, und Eifersucht, und Schuld gefühle.
    »Ich muss los«, sagt Stacy. Sie sieht aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Als sie aufsteht, erhebt sich Dave ebenfalls, als wollte er ihr nachgehen. Dann nimmt er wieder Platz. Stacy blickt sich noch einmal nach uns um, bevor sie den Raum verlässt.
    »Tut mir Leid«, sagt Dave, den Blick auf seinen Teller geheftet. Im Bruchteil von Sekunden wird mir alles klar. Beinahe über Nacht ist die Untreue ein unausgesproche nes Symptom des unheilbaren Zustands geworden, in dem sich unsere Ehe befindet. »Das war nicht geplant.«
    Ich rühre Sahne und Zucker in meinen Kaffee. »Ich weiß.«
    »Du hast allen Grund, wütend zu sein.«
    Ich streiche Himbeermarmelade auf ein hartes weißes Brötchen. »Bin ich aber nicht.«
    »Natürlich bist du.«
    »Nicht wirklich.«
    »Was meinst du damit?«
    »Die Geschichte mit Graham.«
    Er schluckt. »Habe ich es mir also doch nicht eingebildet.«
    »Nein.«
    Er streicht mit der Hand über die rote Satintischdecke, hin und her. Die Decke ist mit Ölflecken übersät. »Ich schätze, damit sind wir quitt.«
    »Vermutlich.«
    »Warum bin ich dann eifersüchtig?«
    »Mir geht es genauso.«
    Er legt die Hand auf den Tisch, mit der Handfläche nach oben, ballt die Faust, öffnet sie. »Hast du mit ihm geschlafen?«
    Ich schweige.
    »Du hast mit ihm geschlafen.« Er blinzelt, als wäre er soeben aufgewacht.
    Ich spiele mit dem Salzstreuer. »Du warst derjenige, der gegangen ist.«
    Er drückt den Daumen in die Zinken seiner Gabel. Ich bin drauf und dran, ihm die Gabel wegzunehmen, an seine schönen Hände denkend, doch ich gebiete mir Einhalt. Dazu habe ich kein Recht mehr. »Schau dir deine Lippe, deinen Hals an. Sie hat aus deinem Wasserglas getrunken, vor meinen Augen. Glaubst du, ich bin blind?«
    Er seufzt, weicht meinem Blick aus. »Ich behaupte nicht, dass ich unschuldig bin, dass ich keine Fehler gemacht habe.« Das Paar am Nachbartisch dreht sich um und starrt uns an. Die Frau trägt große grüne Ohrringe in Form von Schildkröten.
    Ich bemühe mich, leise zu sprechen. »Es ist sechs Monate her, seit du mich das letzte Mal berührt hast, und noch länger, seit wir miteinander geschlafen haben.« Ich trinke einen Schluck Kaffee, nur um mich abzulenken. Er ist lauwarm. Die Sahne ist geronnen, winzige weiße Spren kel schwimmen auf der Oberfläche.
    »Scheint ja so, als würdest du eine Strichliste über meine Versäumnisse und Unzulänglichkeiten führen.« Er lässt die Gabel los. Die Spitze seines Daumens hat kleine rote Kerben. Einmal, als wir frisch verheiratet waren, habe ich seine Fingernägel lackiert, während er schlief. Am Morgen starrte er wie gelähmt die merkwürdigen roten Auswüchse an seinen Händen an. Er hatte irgendwann einmal gesagt, er würde gerne mit mir tauschen, nur für einen Tag, um selbst zu erleben, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Was ist mit der Leichtigkeit in unserem Umgang miteinander geschehen, dieser unverblümten Aufrichtigkeit, die keine Scham kannte?
    »Nach deinem Auszug hatte ich erwartet, dass du dich wenigstens hin und wieder meldest.« Ich finde die Bitterkeit, die sich in meine Stimme geschlichen hat, peinlich.
    Seine Kiefermuskeln spannen sich an, lassen die Andeu tung eines Grübchens unter dem linken Wangenknochen in Erscheinung treten. Das Grübchen hatte ich vergessen. Ein seltsamer Gedanke, ich könnte auch nur die kleinste Einzelheit eines Gesichts vergessen, das ich ganze zwölf Jahre vor mir gesehen hatte. »Ist der Mann wichtig für dich?«
    Ich nicke.
    »Er ist zu alt für dich.«
    »Wie alt ist Stacy?«
    »Fünfundzwanzig.« Er betrachtet eingehend mein Gesicht, nüchtern, wie mir scheint, wie das einer Fremden. »Wie konnte das alles passieren?«
    »Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen. Vielleicht hat es mit der Frau in Chelsea angefangen.«
    »Ich habe nie mit ihr geschlafen.«
    »Das war auch nicht nötig.«
    Er nimmt die Serviette von seinem Schoß und faltet sie fein säuberlich in zwei Hälften. »Es besteht kein Grund, sie in diese Sache hineinzuziehen.«
    »Erinnerst du dich, wohin wir an dem Tag fahren wollten, als du sie gerettet hast?«
    »In den Norden, übers Wochenende.«
    »Weißt du auch noch warum?«
    Er zuckt die Schultern.
    »Es war unser Hochzeitstag. Der zehnte. Wir haben die Frühstückspension nie erreicht, in der wir ein Zimmer reserviert hatten.« Mit Sicherheit weiß er noch, wie er mit ihr im Krankenwagen

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