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Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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zurückgefahren ist. Ich für meinen Teil kann die Rückfahrt in die Stadt nicht vergessen, alleine. »Du hast den ganzen nächsten Tag bei ihr in der Klinik verbracht.«
    »Was hätte ich denn sonst tun sollen?«
    »Du hast sie gerettet. Das war genug. Du hättest den Rest den Ärzten überlassen können.«
    Er fischt mit einem Löffel einen Eiswürfel aus seinem Orangensaft, lässt ihn wieder hineinfallen. »Ich konnte nicht anders.«
    »Und was war mit der Woche vor deinem Auszug? Als du Mittwochabend von der Arbeit nach Hause kamst, war der Tisch festlich gedeckt. Ich hatte Kerzen besorgt, Wein. Ich hatte ganz New York leer gekauft. Ich trug das gelbe Kleid.«
    Seine Miene sagt mir, dass er sich an nichts mehr erinnert. »Worauf willst du hinaus?«
    »Wir hatten uns gerade zu Tisch gesetzt, als das Telefon läutete. Ich bat dich, nicht ranzugehen.«
    »Ich bin Rettungssanitäter.«
    »An dem Abend nicht. Du hattest keinen Bereitschaftsdienst.«
    »Ich habe gewisse Verpflichtungen.«
    »Sie war es. Du hast nicht einen Bissen von deinem Steak gegessen. Keinen einzigen Schluck Wein getrunken. Du hast deinen Mantel angezogen und bist gegangen.«
    Er legt seine Serviette zu kleinen Dreiecken zusammen. »Sie wusste nicht mehr ein noch aus.«
    Er faltet die Serviette immer wieder neu. Ich erwarte halb, dass die Form eines anmutigen Schwans erscheint, doch hier handelt es sich nicht um Origami, sondern lediglich um einen nervösen Tick. Er faltet die Serviette zu einem kleinen prallen Viereck mit perfekten Ecken. »Mein Gott, ich bin der einzige Freund, den sie hat. Wie kannst du ihr das vorhalten! Die Frau hat Verbrennungen dritten Grades im ganzen Gesicht erlitten, Himmel noch einmal. Hast du ihr Gesicht gesehen? Wusstest du, dass ihr Freund sie nach dem Unfall verlassen hat? Er sagte, er könne ihren Anblick nicht ertragen. Kannst du dir vorstellen, was das für eine Auswirkung auf einen Menschen hat?«
    »Ich sage ja nur …«
    »Bist du nicht ein bisschen egoistisch? Schau dich doch an. Du bist gesund. Du hast alles unter Kontrolle.«
    »Das klingt ja so, als sei das ein Makel. Als müsste ich dafür bestraft werden.«
    »Das habe ich nicht gemeint. Doch die arme Frau war zu bedauern, sie war selbstmordgefährdet.«
    »Irgendwo muss man Grenzen ziehen. Man kann nicht jeden Menschen retten.«
    »Ich kann doch jemanden in Not nicht einfach ignorieren.« Er legt die Serviette beiseite und beginnt, Salz auf die Eier zu streuen. Er streut und streut, dann nimmt er den Pfeffer zur Hand. »Damit willst du gewiss andeuten, dass ich kein perfekter Ehemann war.«
    »Perfektion war mir nie wichtig.«
    Er streckt den Arm aus, legt seine Hand auf meine. »Diese Geschichte mit Graham. Bist du sicher, dass es dir nicht darum geht, mich zu verletzen?«
    »Was zwischen mir und Graham ist, hat nichts mit dir zu tun.«
    »Na gut.« Er zieht seine Hand weg. »Ich würde es verstehen, wenn du es mir heimzahlen willst. Vielleicht verdiene ich es nicht besser.« Er hebt sein Wasserglas an die Lippen und will gerade trinken, als wir beide gleichzeitig den klebrigen Abdruck von Stacys pinkfarbenem Lippenstift am Rand entdecken. Er stellt das Glas zurück. »Es ist nur –« Er starrt die Eier an, auf denen Salzkristalle glitzern. »Es ist sonderbar, mir vorzustellen, dass du mit einem anderen Mann zusammen bist.«
    Matt Dillon kommt an unseren Tisch. »Möchten Sie noch anderes?«
    »Nein danke, alles bestens«, sagt Dave.
    Whitney Houstons honigsüße Stimme ertönt aus dem Lautsprecher. Matt Dillon balanciert ein Tablett mit Kaffeetassen auf einer Hand und sagt: »Ich hoffe, Sie haben sehr gut Flitterwochen.«
    »Danke«, sagt Dave. »Doch das sind nicht unsere Flitterwochen.«
    »Sie können tun als ob«, sagt Matt Dillon. Lächelnd geht er davon.
    Dave zupft an seinem Kragen. »Ich habe dich vermisst.«
    »Wirklich?«
    Er sieht verletzt aus. »Natürlich. Und nicht nur während der beiden letzten Monate. Ich vermisse dich schon seit langem. Ich hatte das Gefühl, dass du mich nicht mehr brauchst.«
    »Das hast du dir nur eingebildet.«
    Ich denke an die langen Abende, die ich, am Fenster sitzend, verbrachte, darauf wartend, dass die zweite Nachtschicht zu Ende ging, und wünschte, dass er wie von Zauberhand dastünde. Jedes Mal, wenn er zu einem Einsatz gerufen wurde, stockte mir der Atem, weil ich sicher war, dass er eines Tages Opfer eines Messerstechers werden würde, während er in einer finsteren Gasse eine Schusswunde versorgte.

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