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Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Titel: Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Modiano
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»aber beim nächsten Mal muss ich Ihre Mutter benachrichtigen.« Er ist aufgestanden, und wir haben das Revier verlassen. Der Blonde mit der Schaffelljacke wartete auf dem Trottoir. Ich musste in einen Wagen steigen, auf den Rücksitz. »Ich bring dich nach Hause«, hat der Zivile gesagt. Jetzt duzte er mich. Der Blonde im Schaffell stieg an der Place Blanche aus dem Wagen, vor der Apotheke. Es war merkwürdig, allein auf dem Rücksitz eines Autos zu hocken, mit diesem Typen am Steuer. Vor der Haustür hielt er an. »Gehen Sie schlafen. Und dass so etwas nicht wieder vorkommt.« Von neuem siezte er mich. Ich glaube, ich habe ein »Danke, Monsieur« gestottert. Ich bin auf die Eingangstür zugelaufen, und vor dem Öffnen habe ich mich noch einmal umgedreht. Er hatte den Motor abgestellt und ließ mich nicht aus den Augen, als wollte er sich davon überzeugen, dass ich wirklich ins Haus ging. Von meinem Zimmerfenster habe ich hinuntergeschaut. Das Auto stand immer noch da. Ich wartete, die Stirn an die Scheibe gepresst, neugierig, wie lange es noch hierbleiben würde. Ich hörte das Geräusch des Motors, bevor ich es um die Straßenecke biegen und verschwinden sah. Ich spürte dieses Gefühl von Beklemmung, das mich oft nachts überfiel und noch stärker war als die Angst – dieses Gefühl, fortan mir selbst überlassen zu sein, ohne jede Zuflucht. Weder bei meiner Mutter noch bei sonstwem. Ich hätte gern gehabt, dass er die ganze Nacht vor dem Haus auf Posten stand, die ganze Nacht und die folgenden Nächte, wie eine Schildwache oder vielmehr wie ein Schutzengel, der über mich wachte.
    Doch an anderen Abenden verflüchtigte sich die Beklemmung, und ich erwartete ungeduldig den Aufbruch meiner Mutter, um rauszukönnen. Mit pochendem Herzen lief ich die Treppe hinunter, als wollte ich zu einer Verabredung. Es war nicht mehr nötig, dem Concierge Lügen aufzutischen, Ausreden zu erfinden oder um Erlaubnis zu bitten. Wen? Und wozu? Ich war nicht einmal sicher, dass ich in die Wohnung zurückkehren würde. Draußen ging ich nicht auf der Schattenseite, sondern auf der Moulin-Rouge-Seite. Die Lichter erschienen mir noch gleißender als in den Filmen des Kinos Le Mexico. Ein Rausch erfasste mich, ein ganz leichter … Etwas Ähnliches hatte ich an jenem Abend gespürt, als ich ein Glas Champagner getrunken hatte, im Sans-Souci. Das Leben lag vor mir. Warum hatte ich mich klein gemacht und war an den Hauswänden entlanggeschlichen? Und wovor hatte ich Angst? Ich würde Bekanntschaften machen. Es genügte, in irgendein Café zu treten.
    Ich habe ein Mädchen getroffen, ein wenig älter als ich, und sie hieß Jeannette Gaul. Eines Nachts, als ich Kopfschmerzen hatte, war ich in die Apotheke an der Place Blanche gegangen, um Véganine und ein Fläschchen Äther zu kaufen. Als ich zahlen wollte, merkte ich, dass ich kein Geld dabeihatte. Dieses blonde Mädchen mit dem kurzen Haar – sie trug einen Regenmantel, und ich hatte ihren Blick aufgeschnappt, grüne Augen – trat an die Kasse und bezahlte für mich. Ich war verlegen, ich wusste nicht, wie ich ihr danken sollte. Ich habe ihr vorgeschlagen, mit in meine Wohnung zu kommen, dort könnte ich ihr alles zurückgeben. Ich hatte immer ein bisschen Geld in meiner Nachttischlade. Sie hat gesagt: »Nein … nein … beim nächsten Mal.« Auch sie wohnte hier im Viertel, nur ein Stück weiter unten. Lächelnd betrachtete sie mich mit ihren grünen Augen. Sie fragte, ob ich noch etwas mit ihr trinken wollte, in ihrer Gegend, und so saßen wir schließlich in einem Café – oder vielmehr einer Bar in der Rue de La Rochefoucauld. Überhaupt nicht die gleiche Atmosphäre wie im Condé. Die Wände waren getäfelt, aus hellem Holz wie auch der Tresen und die Tische, und zur Straße hin eine Art Buntglasfenster. Die Bänke aus dunkelrotem Samt. Gedämpftes Licht. Hinter der Bar stand eine etwa vierzigjährige blonde Frau, und diese Jeannette Gaul war gut bekannt mit ihr, denn sie nannte sie Suzanne und duzte sie. Sie hat uns zwei Pimm’s Champagner serviert.
    »Auf Ihr Wohl«, sagte Jeannette Gaul. Sie lächelte mich immer noch an, und ich hatte das Gefühl, ihre grünen Augen prüften mich, um zu erraten, was in meinem Kopf vorging. Sie hat gefragt:
    »Wohnen Sie hier in der Nähe?«
    »Ja. Ein bisschen weiter oben.«
    Es gab die verschiedensten Zonen in diesem Viertel, wo ich alle Grenzen kannte, sogar die unsichtbaren. Da ich eingeschüchtert war und nicht genau wusste, was ich

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