Im fernen Tal der Hoffnung
putzte sich die Nase mit dem Rocksaum. » Seid still, ihr beiden«, sagte sie zu den Kindern, » sonst schicke ich euch zu eurer Schwester Susanna, der Schlampe.«
Lauren beobachtete erstaunt, dass sofort Ruhe einkehrte, als ihre Mutter die Hand hob.
» Schuhe.«
Lauren hob den olivgrünen Rock an und zeigte ihre FüÃe. Die Schuhe waren zwar schon geflickt, aber man sah es kaum. Lauren hatte sich viel Mühe gegeben, sie mit Bienenwachs zu polieren, und jetzt glänzten sie wie neu. Auch ihre Handschuhe waren frisch gereinigt, wenn auch nur mit der Spucke ihrer Mutter.
» Und zu essen hast du auch?«
Lauren schob das Geschirr, die schmutzigen Windeln und Nadel und Faden auf dem Tisch beiseite und stellte ihre kleine Reisetasche darauf. Sie enthielt zweimal Unterwäsche zum Wechseln, einen neuen Rock aus dem Stoff, den sie vor Weihnachten aus dem Laden mitgenommen hatte, eine weiÃe Bluse, ihre Haarbürste und einen in ein Baumwolltuch eingewickelten Laib Brot. Ihre Wasserflasche hing am Stuhl.
» Gut. Und denk an alles, was ich dir gesagt habe, Mädchen.«
Am liebsten hätte Lauren Nein gesagt, aber stattdessen erwiderte sie gehorsam: » Ja, Mutter. Ich breche jetzt auf, weil es dann noch zwei Stunden hell ist. Bis zum Einbruch der Dunkelheit bin ich auf dem Gebiet von Wangallon, und dann geht der Vollmond auf. Ich suche mir ein Lager und rühre mich nicht vom Fleck, bis es wieder Tag ist. So kann ich mich nicht verirren.«
» Gut. Folge den Spuren. Du musst langsam fahren und auf jeden Fall erschöpft wirken, wenn du ankommst. Dann werden sie sich bemüÃigt fühlen, sich um dich zu kümmern.« Mrs Grant stellte den schweren Eisenkessel wieder auf den Herd.
» Ja, Mutter.«
» Und bleib da, bis du dich entschieden hast, welchen du haben willst. Der Pfarrer wird erst in ein paar Monaten wieder da sein. Aber dann sind wir vielleicht schon bereit für eine Hochzeit und eine Taufe.«
Lauren grinste.
Mrs Grant legte die Flasche mit dem Lavendelwasser in die Tasche ihrer Tochter und fügte noch eine Flasche Lebertran hinzu. » Hast du alles, Mädchen?«
» Ich glaube schon, Mutter.«
» Gut. Dann hilf mir mal mit dem Holz.«
Lauren ging nach drauÃen und rückte an dem langen Ast, der durch ein Loch in der Wand der Hütte geschoben war. Drinnen zog ihre Mutter das brennende Ende über das Feuer.
» Und jetzt geh mit meinem Segen und schicke Nachricht, wenn ich zu dir kommen soll.« Ihre Mutter setzte sich einen zerdrückten Strohhut auf den Kopf und nickte ihr zum Abschied zu.
Lauren fuhr ihren Geschwistern jeweils kurz über den Kopf, nahm ihre Tasche und die Wasserflasche und ging zu dem Rollwagen mit der Schindmähre davor. Eine offene Kutsche mit Ledersitzen wäre ihr lieber gewesen. Sie stellte ihre Tasche hinein und raffte ihre Röcke, um hineinzuklettern. Neugierig blickte sie sich um, ob jemand ihren Aufbruch beobachtete, aber leider war niemand zu sehen. Lauren rückte das Hütchen auf ihrem Kopf zurecht und ruckte mit den Zügeln. Mit den Leuten von Wangallon Town hatte sie sowieso nie etwas zu schaffen gehabt, und sie hatte nicht vor, zurückzukehren oder Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen, wenn ihr Plan funktionierte. Wenn eine Dame wie sie etwas aus ihrem Leben machen wollte, musste sie zuerst einmal diejenigen hinter sich lassen, die sie an die Vergangenheit erinnerten.
Hochsommer 1909
Wangallon Station
Angus war sich nicht sicher, ob es klug war, gerade jetzt davonzulaufen. Es war heià und stickig, und er sehnte sich nach seinem Bett. SchweiÃbäche rannen über seinen Rücken, und er wand sich irritiert. Jetzt verstand er, warum sein Vater immer in der halben Nacht aufbrach und entweder morgens oder am kühleren Spätnachmittag zurückkam. Der Mond war schon aufgegangen, als er auf Wallace stieg. Sein Pferd wieherte leise und schüttelte den Kopf. Grillen zirpten, und als er mit Wallace an den Ställen vorbeiritt, blickte Angus noch einmal über die Schulter auf die vertrauten Umrisse des Hauses. Er freute sich über das helle Mondlicht, aber das Land kannte er sowieso, ob nun am Tag oder in der Nacht.
Zunächst einmal wollte er nach Wangallon Town. Dort würde er vielleicht jemanden finden, mit dem er über eine Anstellung sprechen konnte. Er brauchte nicht viel Geld, nur genug, um sich etwas zu essen zu kaufen, denn er wollte mit Wallace
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