Im Glanz der roten Sonne Roman
Fahrrad fahren.« Sie hatte versucht, auf einem Pferd zu reiten, doch ihre verkrümmte Hüfte hatte zu sehr geschmerzt. »Es ist so schon schwierig genug für mich!« Eve sah ihrer Mutter deren Schuldgefühle an – Letitia hatte nie unbefangen mit der Behinderung ihrer Tochter umgehen können.
»Ein Grund mehr, nach Hause zu kommen, wo du anständig gepflegt wirst.«
»Ich brauche keine Pflege!«, fuhr Eve auf. »Ich habe dir schon oft gesagt, dass ich kein hilfloser Krüppel bin. Außerdem hast du mich nicht gewollt, als ich ein kleines Mädchen war. Warum jetzt dieser plötzliche Sinneswandel?«
Letitia schloss für einen Moment die Augen. Schon seit Eves Rückkehr nach Geraldton spürte sie, dass ihre Tochter eine tiefe Abneigung gegen sie hegte, die wie eine unsichtbareWand zwischen ihnen stand. »Das ist doch gar nicht wahr, Evangeline«, meinte sie müde. »Die einzigen halbwegs fähigen Ärzte gibt es in Sydney, und ich wollte, dass du die beste Behandlung bekommst. Außerdem hatten deine Tante Cornelia und dein Onkel Louis sich angeboten, sich während der Behandlung um dich zu kümmern, weil ich zu deinen Schwestern zurückmusste, die damals ja noch kleine Mädchen waren, so wie du. Es war ganz normal, dass Cornelia und Louis dich ins Herz schlossen und nicht mehr hergeben wollten, als du wieder nach Hause solltest. Dein Vater und ich hatten Verständnis dafür, weil sie ihr einziges Kind verloren hatten. Aber das heißt nicht, dass wir dich nicht vermisst hätten!«
Bei ihren seltenen, aus schlechtem Gewissen geborenen Besuchen in Sydney hatte Letitia Eve jedes Mal dasselbe gesagt, doch es war damals genauso unglaubwürdig gewesen wie heute. Hätten ihre Eltern sie wirklich wiederhaben wollen, hätten ihre Tante und ihr Onkel keine andere Wahl gehabt, als sie ihnen zurückzugeben.
Letitia hatte oft erzählt, wie sie und Max nach ihrer Hochzeit zuerst bei Max’ Eltern auf deren Tabakfarm in der Nähe von Townsville gewohnt hatten. Nach der Geburt von Alexandra und Celia hatte Max dann selbst Land gekauft, um Zuckerrohr anzubauen. Mehr als ein Jahr später hatte Letitia Eve zur Welt gebracht. Als Eve drei Jahre alt gewesen war, hatten ihre Eltern sie in ärztliche Behandlung nach Sydney gebracht. In den Wochen vor und nach der ersten Operation waren sie bei ihr geblieben; dann aber hatte Eve weiterer Behandlung und Pflege bedurft. Max und die Mädchen waren nach Geraldton zurückgefahren; Letitia war ihnen bald darauf gefolgt.
Die Jahre danach bezeichnete Letitia immer als die »schwierige Zeit«, als sie Willoughby aufgebaut hatten, und sie versuchte ihre seltenen Besuche bei Eve mit der großen Entfernung zwischen Sydney und Geraldton zu entschuldigen.
Doch die ärztliche Behandlung war kein vollständiger Erfolg gewesen, da die kleine Eve nach den Operationen noch immer hinkte. Deshalb glaubte sie, für Letitia und Max nicht »gut genug« zu sein, und nichts konnte sie vom Gegenteil überzeugen. So war die Trennung für alle Beteiligten mit der Zeit immer leichter geworden. Außerdem hatten ihre Eltern, soweit Eve wusste, wenig oder gar nichts unternommen, um sie zurückzuholen.
»Ich möchte mich nicht mit dir streiten, Mutter. Ich bin heute hierher gekommen, um dir zu sagen, was über Vater erzählt wird. Ich hatte die Hoffnung, du könntest in der Sache vielleicht etwas unternehmen.«
»Ich bin sicher, dass du Unrecht hast, Evangeline, aber ich werde sehen, was ich herausfinden kann«, meinte Letitia.
»Ich danke dir«, gab Eve steif zurück. Sie bat ihre Mutter nur äußerst ungern. »Und bitte denk daran – Jordan soll nicht erfahren, dass ich eine Courtland bin. Nach all dem, was Vater getan hat, würde er mich davonjagen, aber ich will nicht fort.«
Letitia hatte nie daran gedacht, sich Eve an der Seite eines Mannes vorzustellen, doch plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Fühlst du dich zu ihm hingezogen?«
Eve blickte sie verwundert an. »Natürlich nicht. Ich bin nicht wie Celia und Lexie, die in jedem männlichen Wesen einen möglichen Ehemann sehen.«
»Das habe ich auch nicht gemeint. Deine Schwestern sagen, dass Jordan sehr gut aussieht.«
»Das interessiert mich nicht, Mutter. Jordan ist noch immer nicht über den Verlust seiner Eltern hinweg. Für ihn ist erst einmal das Wichtigste, die Plantage wieder aufzubauen.« Sie runzelte die Stirn. »Wollen Lexie und Celia ihn denn näher kennen lernen?«
»Celia ist immer eher schüchtern gewesen, aber ich habe ihr angemerkt, dass sie
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