Im Hauch des Abendwindes
besorgt, das muss ich in unser Lager zurückbringen.« Sie hielt eine Tasche hoch, in der sie Jamswurzeln und Insektenlarven gesammelt hatte. »Aber ich zeige dir, wie du hinkommst und wieder zurück. Komm mit.«
Girra führte Ruby von Myras Haus aus etwa anderthalb Kilometer in nordwestlicher Richtung über den alten Schienenweg von Silverton. Dort zeigte sie ihr die Mundi-Mundi-Ebene, die sich erstreckte, so weit das Auge reichte.
»Siehst du die Bäume dort?«, fragte sie und deutete nach Westen. »In die Richtung musst du gehen.«
»Gut«, sagte Ruby zögernd. »Aber die sind ja weiß Gott wie weit weg. So weit kann ich nicht laufen.« Außer den Bäumen in der Ferne war auf der kargen Ebene nichts zu sehen.
»Bis zu Jeds Lager ist es nicht so weit. Du musst nur in diese Richtung gehen, dann findest du ihn.«
»Es wird bald dunkel. Was mach ich, wenn ich zurückwill?«, murmelte Ruby vor sich hin.
»Du musst die Straße nehmen«, riet Girra ihr. »Du würdest dich sonst in der Dunkelheit verlaufen.«
Ruby nickte. »Falls diese zwei Typen auftauchen, würde ich ja die Scheinwerfer ihres Autos sehen und könnte rechtzeitig in Deckung gehen.«
»Genau.«
»Aber ich werde Jeds Lager doch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen, nicht wahr?«, fragte Ruby, der nicht ganz wohl in ihrer Haut war bei dem Gedanken, mutterseelenallein diese Einöde zu durchqueren.
»Beeil dich, dann schaffst du es«, versicherte Girra ihr. »Ich muss jetzt weiter zu meinen Leuten.«
Das Aborigine-Mädchen entfernte sich rasch. Ruby sah ihr mit gemischten Gefühlen nach. Aber als Girra sich umdrehte und ihr aufmunternd zuwinkte, fasste sie neuen Mut. Sie wusste, dass ihr Entschluss richtig gewesen war. Lächelnd winkte sie zurück.
Den Blick auf die Bäume in der Ferne gerichtet, schritt Ruby zügig aus. Da der Boden steinig und stellenweise mit dornigem Unkraut überwuchert war, war sie froh, dass sie Myras flache, bequeme alte Treter an den Füßen hatte. Eidechsen huschten über die rote Erde, ein ganzes Stück weiter weg hüpften Kängurus, eine Schlange flüchtete eilig durch den Staub.
Als die Sonne untergegangen war, wurde Ruby nervös. Keine Spur von einem Lagerfeuer, das auf Jed hingedeutet hätte, war zu sehen. Als sie sich umdrehte und die Stadt nicht mehr sehen konnte, wusste sie, dass es kein Zurück mehr gab. Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als die Straße zu suchen. Ruby ging noch schneller. Sie war schweißgebadet und spürte, wie ihre Kräfte nachließen. Außerdem hatte sie schrecklichen Durst.
Es dauerte nicht lange, da zeichneten sich die Bäume nur noch als schwache Silhouette gegen den dunkler werdenden Himmel ab. Ruby geriet allmählich in Panik. Die Straße war nirgends zu sehen. Sie hatte völlig die Orientierung verloren. Sollte sie umkehren? Aber wenn sie nur ein ganz klein wenig vom Weg abkam, würde sie womöglich an der Stadt vorbeilaufen, ohne es zu merken. Sie haderte mit sich. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, sich kurz vor Einbruch der Dunkelheit ganz allein auf den Weg zu machen. Wenn sie sich nun verirrte und nie gefunden wurde? Was, wenn sie ihre Mutter nie mehr wiedersah? Sie hielt inne und schaute sich um. Eine Angst, noch lähmender als die in der Nacht, als Bernie Lewis sie an der Straße nach Silverton zurückgelassen hatte, saß ihr in den Gliedern.
Plötzlich sah sie Autoscheinwerfer in der Ferne aufblitzen und hörte, wenn auch nur schwach, das Geräusch eines Motors. Das Fahrzeug kam auf sie zu. Ob das Jed Monroe war? An der Auf- und Abwärtsbewegung des Scheinwerferlichts erkannte sie, dass der Wagen über holpriges Gelände fuhr. Dann bremste er ab, bog scharf nach rechts und beschleunigte, was nur bedeuten konnte, dass er sich jetzt auf einer asphaltierten Straße befand.
O nein, dachte sie verzweifelt. War sie den ganzen weiten Weg gelaufen, nur um Jed davonfahren zu sehen? Ärgerlich und enttäuscht ballte sie die Fäuste. Doch dann überlegte sie. Das Fahrzeug war ein Pick-up gewesen, da war sie sich ziemlich sicher, aber es war kein Pferdeanhänger angekoppelt gewesen. Jed würde sein Pferd doch sicherlich nicht unbewacht hier draußen zurücklassen, wenn er die Absicht hätte, länger fortzubleiben.
Ruby beschloss, bis zur Straße weiterzugehen und dann zu entscheiden, was sie tun würde. Sie guckte angestrengt auf den Boden, um nicht in einen Kaninchen- oder Wombatbau zu treten. Dabei könne man sich leicht ein Bein brechen, hatte Girra sie
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