Im Herzen der Nacht - Roman
nicht, wenn es sich vermeiden lässt.«
Gewiss, das ergab einen Sinn. »Da Sie durch die Zeit reisen können - haben Sie jemals überlegt, ob Sie die Vergangenheit verändern sollen?«
»Ja.«
»Haben Sie es schon mal getan.«
Vane schüttelte den Kopf, und sein Gesicht nahm erstaunlich ernste Züge an. »Auf dieser Welt existieren Kräfte, die man besser in Ruhe lässt. Und die Macht, ein Schicksal zu
ändern, gehört definitiv dazu. Glauben Sie mir, die Schicksalsgöttinnen kennen grausame Methoden, um einer Person zu schaden, die dumm genug ist, ihnen ins Handwerk zu pfuschen.«
Gespenstisch gellten seine Worte in ihren Ohren. Das hörte sich so an, als hätte er diesen Fehler schon einmal begangen. Danach wollte sie ihn fragen. Aber ein Instinkt riet ihr davon ab. Sie setzte den Helm auf, dann kletterte sie hinter Vane auf das Motorrad und tat ihr Bestes, sich nicht allzu fest an ihn zu lehnen. So attraktiv er auch sein mochte, er machte sie nervös. Nicht nur, weil er ein Werwolf und ein Zeitreisender war. Irgendetwas hatte er an sich, dem sie misstraute.
Auf ihre Bitte hin brachte er sie zu der kleinen Kunstgalerie, wo sie den Karren mit ihren Werken abgestellt hatte und half ihr, ihn zum Jackson Square zu rollen. Dort kamen sie kurz nach zehn an. Um diese Tageszeit hatte sich bereits eine große Menschenmenge versammelt.
»Das verstehe ich nicht«, gestand Vane, als er den Wagen zu Selenas Kiosk schob. »Warum machen Sie Ihren Marktstand auf, wenn Sie nur einen Kunden treffen wollen?«
»Weil Cameron gesagt hat, er will alles sehen, was ich verkaufe. Und wenn ich das Zeug schon für ihn raushole, verkaufe ich vielleicht was an andere Leute.«
Sie zeigte ihm, wo er den Wagen abstellen sollte, und das tat er. Allzu glücklich sah er nicht dabei aus.
Bei seinem Anblick riss Selena die Augen auf. »Schon wieder ein Neuer, Sunny?«
»Nein, er ist nur...«
»Ein Wachhund«, stellte er sich vor und streckte seine Hand aus. »Selena Laurens, nicht wahr? Amandas ältere Schwester?«
»Ja.« Selena nickte und schüttelte ihm die Hand. »Kennen Sie Amanda?«
»Nur Kyrian.«
»Gibt’s eigentlich jemanden, der Kyrian nicht kennt?«, fragte Sunshine.
Selena lachte und wandte sich wieder zu Vane, der gerade den Tisch auseinanderklappte, auf den Sunshine ihre billigeren Keramikwaren stellte. »Da Sie sich am helllichten Tag herumtreiben, sind Sie kein DH. Vielleicht ein Knappe?«
Irritiert versteifte er sich. »Beleidigen Sie mich nicht! Ich diene niemandem.«
»Leider ist er nicht besonders freundlich«, erklärte Sunshine. »Ich glaube, er hat Tollwut. Oder so was Ähnliches.«
Vane schenkte ihr ein halb belustigtes, halb gequältes Lächeln. »Wissen Sie, Sunshine, ich mag Ihren Humor.«
Ehe sie antworten konnte, spürte sie, dass sie beobachtet wurde. Beunruhigt sah sie sich um, bis sie ein vertrautes, lächelndes Gesicht entdeckte. Obwohl die Frau nicht besonders groß war, stach sie aus der Menge heraus. Nicht nur wegen ihres grellroten Rocks. Sie besaß eine ebenso starke Ausstrahlung wie Talon oder Vane. Zu Zöpfen geflochten, umgab stahlgraues Haar ihren Kopf. In ihren Augenwinkeln zeigten sich zahlreiche Lachfältchen, und ihr gütiger, kluger Blick übte auf alle Mitmenschen eine besondere Wirkung aus.
»Grammy!«, rief Sunshine, als die alte Frau zu ihr kam. »Was machst du hier? Ich dachte, du hättest geschworen, zur Mardi-Gras-Zeit nie wieder einen Fuß nach New Orleans zu setzen.«
Die Großmutter umarmte sie und schob sie von sich, um
sie zu mustern. Fast ein Jahr lang waren sie sich nicht begegnet. Wie wundervoll, Grammy wiederzusehen.
Als wollte sich die Großmutter vergewissern, dass Sunshine gesund war, strich sie über ihren Arm. »Das hatte ich vor. Aber deine Mutter rief mich an und erzählte mir, du würdest gern herausfinden, ob du früher eine Keltin warst. Da dachte, ich komme mal vorbei und überrasche dich.«
»Das ist dir gelungen, und ich freue mich sehr über deinen Besuch.« Argwöhnisch wandte sich die alte Frau zu Vane. »Und wer sind Sie ?«
»Vane Kattalakis.«
»Wo ist dieser Talon, den deine Mutter erwähnt hat, Sunshine?«
»Der kommt später hierher, Grammy.«
»Gut.« Die Großmutter zog ein kleines Medaillon unter ihrer Bluse hervor und legte die Kette um Sunshines Hals.
»Was ist das?«
Die Großmutter rückte das Medaillon zurecht, sodass es jeder entdecken musste, der Sunshine anschaute. »Behalt es immer in der Nähe deines Herzens, meine Kleine.
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