Im Herzen der Nacht - Roman
mich hier raus!
Starla wandte sich zu Sunshine, die neben dem Fenster stand. »Was machst du?«
»Stell dir vor, er hat eine Sonnenallergie.«
»Der Himmel ist bewölkt.«
»Das weiß ich. Aber er scheint kein Licht zu vertragen.«
»Also hast du einen Vampir nach Hause mitgebracht. Cool.«
»Nein, ich bin kein Vampir«, protestierte Talon.
»Nicht direkt, hat er vorhin gesagt«, erklärte Sunshine. »Was ist ein indirekter Vampir?«
»Ein Werwolf«, antwortete Starla. »Wenn ich an seine Aura denke - ja, das ergibt einen Sinn. Wow, Sunny, du hast einen Werwolf aufgestöbert.«
»Nein, ich bin kein Werwolf.«
Sichtlich enttäuscht drehte Starla sich zu Talon um. »Wie
schade, Wenn man in New Orleans lebt, darf man hoffen, wenigstens hin und wieder einem Untoten oder Verdammten zu begegnen. Sollen wir umziehen, Sunny? Wenn wir drüben bei Anne Rice wohnen, würden wir sicher Vampire oder Werwölfe treffen.«
Sunshine zog die Jalousie wieder herunter, ganz vorsichtig. Diesmal klappte es. »Wie gern würde ich einen Zombie sehen …«
»Ja, ich auch«, sagte die ältere Frau. »Dein Dad hat erzählt, er sei mal über einen gestolpert. Draußen am Bayou. Kurz vor unserer Hochzeit.«
»Vermutlich war’s ein Peyote-Kaktus, Mom.«
»Oh... Ja, mag sein.«
Nun fiel Talons Kinnlade erneut hinab. Verwirrt starrte er von einer zur anderen. Mutter und Tochter? So benahmen sie sich nun wirklich nicht. Und Starla sah nicht viel älter aus als Sunshine. Aber die Ähnlichkeit war unverkennbar. Ebenso die Extravaganz der beiden. In dieser Familie musste sich ein Hang zum Wahnsinn von einer Generation zur nächsten vererben.
Sunshine ließ die Jalousie am anderen Fenster herab. Die rosa Decke um die Hüften, ging Talon am Vorhang vorbei und betrat einen großen, spärlich möblierten Loft. Zur Linken, wo die Bewohnerin ein kleines Atelier abgeteilt hatte, sah er eine Fensterreihe. Zum Glück lag der restliche Raum im Dunkeln. Wenige Sekunden später fand er die Küche.
»Jetzt, wo er wach ist, stimme ich dir zu, Sunny. Er ist nicht bedrohlich...«
Als er diesen Kommentar hörte, hob er die Brauen. In seinem Leben hatte es keine einzige Phase gegeben, wo er nicht bedrohlich gewesen wäre. Ich bin ein Dark Hunter! Allein
schon diese Bezeichnung versetzte alle bösen Geschöpfe in Angst und Schrecken.
»...jetzt gehe ich runter in den Club, bezahle ein paar Rechnungen und bestelle ein bisschen Nachschub. Danach arbeite ich ernsthaft.«
»Okay, Starla. Bis dann.«
Starla küsste die Wange ihrer Tochter und verließ den Loft.
Nachdem Talon sich ein paar Minuten lang in der Küche umgesehen hatte, entdeckte er die Telefonschnur, die aus einer Wand hing, und folgte ihr zu einer Schublade. Darin stand der Apparat zwischen vertrockneten Pinseln und Acrylfarbtuben.
Er nahm das Telefon heraus, das mit wilden fluoreszierenden Farben bemalt war, und stellte es neben eine rosa Keksdose in der Form eines Schweinchens. Aus diesem Gefäß wehte der Zimtduft kleiner Reiskuchen. Talon wählte die Nummer Nick Gautiers. Früher war der Mann der Knappe oder menschliche Gehilfe Kyrians von Thrakien gewesen.
Seit Kyrian vor ein paar Monaten Amanda Devereaux geheiratet und den offiziellen Status eines Dark Hunters aufgegeben hatte, arbeitete Nick als inoffizieller Teilzeitknappe für Talon.
Nicht dass Talon einen Knappen brauchte. Leider hatten die Menschen diese angenehme Angewohnheit, einfach wegzusterben. Und Nicks freches Mundwerk weckte Mordgelüste.
Trotzdem war so ein Knappe manchmal ganz nützlich. Zum Beispiel jetzt. Das Freizeichen piepste, bis die Nachricht erklang, derzeit sei der Besitzer des Handys nicht erreichbar.
Verdammt, das bedeutete, dass er jemand anderen anrufen musste. Davor schreckte er zurück. Lieber würde er sich umbringen lassen. Wenn das sämtliche Dark Hunter erfuhren, würde er’s bis in alle Ewigkeit hören. Die echten Knappen mussten einen Eid strenger Verschwiegenheit ablegen. Niemals durften sie etwas verraten, das einem Dark Hunter peinlich wäre oder ihn gefährden könnte.
Unglücklicherweise schworen die menschlichen Knappen nichts dergleichen. Wenn er Nick zwischen die Finger bekam, war er ein toter Mann.
Mit einem tiefen Atemzug wappnete er sich für die drohenden Unannehmlichkeiten und rief Kyrian an, der sich schon nach dem ersten Läuten meldete und seine Stimme sofort erkannte. »Talon? Es ist Mittag. Stimmt was nicht?«
Talon warf einen kurzen Blick auf Sunshine, die in die Küche
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