Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
Rolle, dass ich nicht alleine bin. Ich schluchze so laut, dass ich fast keine Luft mehr bekomme. Kurz darauf sitze ich mit Frau Schuster auf der Couch.
»Schon gut, Kindchen, ist ja schon gut«, tröstet sie mich. »Lass alles raus. Danach wird es dir besser gehen.«
Es dauert eine ganze Weile, bis ich mich wieder beruhigt habe. Frau Schuster sitzt immer noch neben mir und streichelt meinen Rücken. Dankbar versuche ich, sie anzulächeln, aber der Versuch missglückt. Ich fange schon wieder an zu heulen. Auf einmal steht sie auf und sagt:
»So, und jetzt koche ich uns erst einmal einen guten Tee. Im Garten wächst frische Minze …«
Minze? Sofort schluchze ich auf, weil mir die kleinen, weißen Bonbons wieder einfallen, die er so gerne gelutscht hat …
Die Bepflanzung hat Frau Schuster seinerzeit gemacht. Ich hatte keine Ahnung, dass der Garten bis zu meinem Einzug zu ihrer Wohnung gehört hat. Sie hat ihn abgegeben, weil ihr die Arbeiten zu beschwerlich geworden sind, erzählt sie mir. Es tut mir gut, ihr zuzuhören, während sie in der Küche hantiert, und langsam beruhige ich mich. Wir setzen uns an den Küchentisch, und ich umfasse die dampfende Teetasse.
»Das riecht gut!« Dicht halte ich meine Nase über den Tassenrand. »Was ist denn da noch drin?«
»Apfelblüten und ein wenig Zimt, das weckt die Lebensgeister – und hilft ganz ausgezeichnet gegen Übelkeit.«
Der Tee und der unerwartete Zuspruch scheinen zu wirken. Ich fühle mich schon etwas besser.
Fast kommt mir Frau Schuster vor wie eine alte Kräuterhexe, und ich denke einen kurzen Moment darüber nach, ob sie vielleicht doch noch irgendein anderes Zauberelixier in das heiße Getränk gemixt hat. Ich bin ihr gegenüber erstaunlich gesprächig, rede von Ben, unserer besonderen Freundschaft, seinem plötzlichen Tod – und von der geplanten Hochzeit. Sogar von Nathalies Vermutung, Ben könne mir Caruso geschickt haben, berichte ich ihr.
Hilde, die mir mittlerweile das Du angeboten hat, hat mich kein einziges Mal unterbrochen. Doch jetzt schmunzelt sie und wirft ein: »Das würde erklären, warum der Kater dir die Mäuse bringt.«
»Das habe ich mir auch schon überlegt. Meinst du, es könnten Liebesbeweise von Ben sein?« Hildes Mundwinkel fangen verräterisch an zu zucken. Sie kann sich kaum zurückhalten.
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«
Wir lachen beide gleichzeitig los.
Caruso hat sich wieder nach draußen verzogen und auf seinem bevorzugten Ast Platz genommen. Reglos sitzt er da und schaut zu uns herüber.
Was mache ich nur mit ihm? Ich kann ja schlecht den ganzen Tag lang mein Küchenfenster auflassen, damit er hier ein- und ausspazieren kann, so wie es ihm gefällt. Ob ich Nathalie Bescheid geben soll, dass der Kater wieder bei mir ist? So wie es aussieht, bin ich ja nun doch irgendwie Katzenmutter geworden. Caruso würde mir wahrscheinlich sogar fehlen, wenn er plötzlich nicht mehr da wäre. Dass ich mal so über den grauen Kater denken würde, überrascht mich.
»Wahrscheinlich ist es schwieriger«, sagt Hilde plötzlich, »eine Liebe loszulassen, die man nie gelebt hat. Ich war fast fünfundfünfzig Jahre mit Lorenzo verheiratet, bis er im letzten Jahr von mir gegangen ist. Weißt du übrigens, woher Caruso seinen Namen hat?«
Caruso war nicht nur der Name des Frachters, von dem Ben damals fast über den Haufen gefahren worden wäre, so hieß auch ein bekannter italienischer Tenor. Das wusste ich natürlich. Dass Caruso aber als der berühmteste Tenor aller Zeiten gilt, war mir unbekannt. Auch dass es ein sehr schönes, aber zugleich trauriges Lied gibt, das ihm gewidmet wurde, ist mir neu.
»Es ist von Lucio Dalla«, erklärt Hilde mir. »Du kennst es bestimmt. Fast alle großen Tenöre haben es interpretiert: Luciano Pavarotti, Andrea Bocelli, Julio Iglesias … Aber am besten hat es Lucio Dalla persönlich gesungen. Caruso war Lorenzos Lieblingslied.«
Hilde ist vierundsiebzig Jahre alt. Mit siebzehn hat sie sich in ihn verliebt, mit neunzehn hat sie ihn geheiratet. Er war also siebenundfünfzig Jahre lang Teil ihres Lebens – bis er letztes Jahr an Krebs gestorben ist.
Und ich sitze hier, denke nur an meinen Kummer, bemitleide mich selbst und jammere rum. Jetzt schäme ich mich fast ein bisschen dafür.
»Das tut mir leid«, bricht es aus mir heraus. »Die ganze Zeit habe ich nur an mich und meinen Kummer gedacht.«
»Das muss dir nicht leidtun. Lorenzo und ich, wir haben fast unser ganzes Leben miteinander
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