Im Hyperraum
vor einer
greifbaren, unmittelbar drohenden Gefahr und war auch nicht so bang,
dass es jemandem auf Anhieb aufgefallen wäre; doch unter seinem ruhigen
und sanften Gebaren schwelte eine tief sitzende Besorgnis, entschleiert
durch eben die Kraft, die dieses Bild erzeugte. Daps couragiertes
Auftreten maskierte eine entsetzliche Furcht.
Er stand
neben der Traumlink-Maschine, der Sonnenglast, den dieses Gerät
abstrahlte, erwärmte ihn. Sie selbst musste sich ganz in seiner Nähe
aufhalten, dachte Jael, für sie unsichtbar und gleichfalls die Wärme
des Traumlinks genieÃend. Wie bittere Galle stieg das Gefühl einer
Demütigung wieder in ihr hoch, als sie sich an das Erlebnis erinnerte.
Doch indem das Energiefeld des Traumlinks sich ausdehnte, wurde Daps
innere Unruhe immer deutlicher, eine starke Unsicherheit, die er durch
eine fröhliche Miene zu tarnen versuchte.
Wieso hatte
sie dies nicht schon früher erkannt? War sie so sehr in sich selbst
versunken gewesen? Bilder von Daps Flügen umtanzten ihn wie winzige
Sonneneruptionen: das Riggen, die Gemeinschaft mit Deira, die
unverfälschte Freude im Netz. Doch war dieses Vergnügen tatsächlich so
ungetrübt gewesen, wie er es Jael gegenüber behauptet hatte? Diese
Partnerschaft hatte ihn in ekstatische Glückseligkeit versetzt â doch
ihm gleichfalls Kummer bereitet. Er fühlte sich gekränkt, weil Deira
gleich wieder abgeflogen war und ihn allein gelassen hatte. Warum hatte
sie, Jael, seine Sorgen nicht bemerkt? Weil er seine Probleme so gut zu
verbergen verstand, oder weil sie blind gewesen war? Dap, begann sie und brach gleich wieder ab, denn er konnte sie nicht hören.
Dann
blühten ihre eigenen Erinnerungen in dem Lichtfeld auf und verdrängten
die von Dap â ihre Erinnerungen schwirrten um Daps Kopf, platzten und
zerbarsten in kalten Explosionen. Bilder von ihrem Vater, wie er Türen
hinter sich schloss, Jael aussperrend, die mit weit aufgerissenem Mund
stumme Schmerzensschreie ausstieÃ. Ihr Vater verstieà sie, um sich mit
seinen Huren und seinen Lustknaben zu amüsieren. Szenen von Jaels
Bruder, ehe er bei dem Unfall mit einem Bodenfahrzeug ums Leben kam â
verbittert und desillusioniert ob der Ablehnung durch seinen Vater,
zerstörerische Gefühle, die er indessen niemals gezeigt hatte, obwohl
sie ihn innerlich zerrissen. Jael selbst, frustriert, weil ihr Vater
sie vernachlässigte, sich ihren Qualen gegenüber gleichgültig stellte,
seinen Kindern beibrachte, wie man Mauern um sich errichtete, aber
nicht, wie man Fenster öffnete.
All das stürzte auf Dap
ein â eine Gezeitenwelle, in der sich Jaels Qualen mit anderen
Erinnerungen oder geträumten Erinnerungen mischten; Flüge und
Freundschaften und Romanzen, die sie gern erlebt hätte, Phantasien, die
von ihrer Verzweiflung und Einsamkeit zeugten, von ihren unerfüllten
Wünschen als Rigger. All diese Bilder huschten durch das Traumlink, in
das Jael sie entlassen hatte.
Jael, ich hatte ja keine Ahnung! Das ⦠das muss nicht so sein!, flüsterte er, erschüttert angesichts ihrer Pein. Nur zu gut entsann sie sich an ihre Antwort. Das sind nur Phantasien, hatte sie gelogen, während sie sich bemühte, sie einzudämmen, sie an
einem Ort zu verstecken, wo Dap sie nicht sehen konnte, wo niemand
sonst sie gewahrte. Doch Dap lieà sich nicht täuschen â wenn die
Wahrheit erst einmal ins Traumlink einfloss, vermochte nichts und
niemand sie mehr zurückzunehmen. Sie sah es an Daps Miene, als er sich
von seiner nicht im Bild befindlichen Cousine löste, mit der er das
Energiefeld geteilt hatte. Der ganze Hass auf ihn kochte wieder in ihr
hoch, während sie beobachtete, wie sich Betroffenheit und Schrecken auf
seinen Zügen abzeichneten. Abermals fühlte sie sich von ihm verraten
und im Stich gelassen, weil er die Verbindung zu ihr kappte.
Warum zieht er sich zurück?, hörte sie; Highwing war es, der die Frage flüsterte.
Warum? Weil er glaubt, ich sei ⦠weil er ein elender Schuft ist â¦
Jählings
erkannte sie, dass Dap nicht Abscheu vor ihr empfand; seine Miene
drückte etwas vollkommen anderes aus; und obschon sie es die ganze Zeit
über hätte sehen müssen, hatte sie diesen Ausdruck nicht richtig
interpretiert. Sein Gesicht verriet ihr, dass er Angst hatte. Und dass
er sich schämte. Er fürchtete sich vor seinen eigenen Kümmernissen, die
den ihren
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