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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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unmittelbarer Nähe ein anerkennend langgezogener Pfiff.
    »Verstehe, Mann!« Ein zweites Gesicht tauchte verschwommen auf. »Scharfe Puppe.« Eine Hand, die ihren Oberschenkel herauf-kroch, sich mit stählernem Griff schmerzhaft zwischen ihre Beine bohrte. Reißender Kleiderstoff. Druck des Arms gegen die Gurgel erstickte die Schreie. »Ey, Mann, leg sie hin, leg sie auf den Boden…« Hastiges Fummeln an ihrem Schlüpfer, Kleid gierig von ihren kleinen Brüsten gezerrt. Sie versenkte ihre Fingernägel in einen Unterarm, als die Muskeln sich gerade entspannten, durchbohrte die Haut. Für kurze Zeit wurde sie losgelassen, sie sprang auf, im Center trainierte kraftvolle Bewegung, riß sich den zweiten Schuh von der Ferse, rannte auf die erleuchtete Straße zu, einer griff nach ihren Haaren, um sie zurückzuhalten, blindes Ausholen mit spitzem Absatz, Dreinschlagen, und noch mal, und noch mal, Widerstand eines Schädels, Brüllen, abruptes Verstummen, nahendes Sirenengeheul, scheinbar zielstrebig, eilig. Dann wieder rücklings auf dem Boden, ein letzter Fußtritt und der Abdruck einer Schuhsohle auf dem Arm, als sie davonstoben. Schritte flogen in die Dunkelheit fort, die Gasse hinab, an den Mülltonnen vorbei. Der zur Sirene gehörende Einsatz-wagen schoß weiter, vorbei, dem Ruf an einen anderen Ort folgend, 146
    sauste heulend mit flackerndem Blaulichtstreifen an ihr vorbei, als sie auf den Gehweg stolperte und mit den Armen ruderte.
    Stolpernd im roten Kleid in derselben Richtung die Straße hinunter, eine hüpfende Brust entblößt. Weglaufen, das kannte sie, doch das Weglaufen der Kindheit war immer auch Spiel gewesen, gespielt im Vertrauen darauf, daß sie jemand finden würde; nicht wie das hier.
    Auf den Stufen vor der Haustür war es eisig kalt. Sie hatte endlos geklopft, sich auf den Klingelknopf gelehnt, eine halbe Ewigkeit, länger, länger als der Weg, den sie zurückgelegt hatte, auf dem sie sich immer wieder in Türeingängen versteckt hatte, sich eine dreckige Plastikplane um die Schultern gelegt hatte, die ihr gegen die Beine geweht war und die sie vor Schreck hatte aufschreien lassen. Vollkommen ungeschützt, nackt, Hure, Nutte, wieder allein, keuchend vor Angst – Bitte, bitte, bitte, so hilf mir doch jemand! Als er endlich aufmachte, traf sie die Hitze von drinnen wie der Strahl eines Flam-menwerfers.
    »Nett, daß du vorbeischaust«, sagte David. »Du nimmst wohl an, daß du hereindarfst?«
    Sie nickte tumb.
    »Na, da bin ich mir nicht so sicher, Liebling. Hast du dich gut amü-
    siert?«
    Katherine blickte hoch, suchte seine Augen. Im Gegenlicht war er nur eine dunkle Silhouette. Sie beherrschte sich, unterdrückte die Tränen, dachte unsinnigerweise daran, daß in der Handtasche zum Glück weder Geld noch Schlüssel gewesen waren.
    »Hast du weitere Verehrer gefunden da draußen, meine Süße? Sieht ganz so aus. Geht mich natürlich nichts an, aber was für eine Überraschung. Was jemand bei Sinnen an einer fetten, dreckigen Nutte wie dir finden kann, ist mir ein Rätsel. Höchstens eine Schwuchtel wie Colin Neill. War er denn sanft mit dir, mein Schatz? Sanfter als die anderen Verehrer? Lieb und nett? Hat er Süßholz geraspelt. Mir kannst du’s ruhig erzählen.«
    Sie hob ihm das Gesicht entgegen, wartete auf den Schlag der Handfläche, den Schmerz an der Schläfe, ihr Kopf fuhr zur Seite herum. Dann begann sie zu weinen, hockte sich ihm zu Füßen dort auf den Stufen vor der Haustür, hielt sich die Hände über die Ohren.

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    »Verzeih mir, verzeih mir, verzeih mir, bitte, schick mich nicht fort…«
    »Scht, mein Schatz, scht, liebe, gute Katherine, braves Kind, ach bitte, weine nicht, scht, meine Gute, meine Schöne.« Er richtete sie sanft auf, zog sie in seine Arme, drückte ihr schluchzendes Gesicht an seine Brust, hob sie und trug sie ins Haus. »Scht, mein Schatz.
    Mir tut es auch leid. Jetzt bist du daheim. So, so, ganz ruhig, komm…«
    Im Spiegel lächelte Davids Gesicht, doch in seinen Augen glänzten wie in den ihren Tränen. Katherine spürte die Tränen, die sie nicht sah. Die Ordnung war wiederhergestellt.

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    10
    Das herrische »Ich will!« ging mir als Kind ziemlich leicht von den Lippen, und irgendwann, meist eher früher als später, bekam ich meinen Willen. Wenn ich mich recht entsinne, wird man darin sehr schnell sehr gewitzt, jedenfalls war es bei mir so, zumal der eigene Wille so vielen verschiedenen Menschen auf so viele verschiedene Arten aufgezwungen werden

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