Im Land der Orangenbluten
zu wirken. So gleichgültig wie möglich zuckte sie mit den Achseln. »Karl ist ein erwachsener Mann und darf tun und lassen, was ihm gefällt. Und, da bin ich mir sicher«, sie funkelte Pieter an, bevor sie ausstieß: »Karl missbraucht keine Kinder!«
Pieter machte auf dem Absatz kehrt und verschwand im Haus.
Julie atmete auf. Tränen brannten in ihren Augen, und in ihrem Hals stieg ein schmerzhaftes Stechen empor. Gegen Pieter schien sie für diesen Moment gewonnen zu haben. Aber Karl ... was trieb ihr Mann hinter ihrem Rücken? Julie gab sich ja redlich Mühe, ihm eine gute Ehefrau zu sein. Dass es mit der Schwangerschaft nicht klappte ... Sie wusste doch auch nicht, woran es lag. Vielleicht kam Karl dafür einfach zu selten zu ihr. Sein Interesse an ihr war fast erloschen. Sie liebte ihn nicht, aber trotzdem hoffte sie immer noch, dass ihre Ehe etwas harmonischer ablaufen würde in Zukunft. Dass er sich anscheinend in der Stadt eine zweite Frau hielt, schmerzte sie. Dann war sie für ihn wirklich nur Mittel zum Zweck gewesen. Und das Gefühl, benutzt zu werden, war fast noch schlimmer, als betrogen zu werden.
Am nächsten Tag stieg Pieter mit mürrischem Gesichtsausdruck mit in das Boot, welches sie in die Stadt bringen sollte. Sechs kräftige Rudersklaven, Julie, Kiri, Martina, Liv, Pieter, seine zwei Burschen ... Es wurde recht eng zwischen dem ganzen Gepäck.
Julie vermied es, Pieter anzusehen. Martina war aufgekratzt und schwatzte aufgeregt auf ihren Verlobten ein, der ihr Gebrabbel allerdings nur mit genervten Blicken quittierte.
Die beiden Sklavenmädchen rutschten nervös auf ihren Plätzen umher. Es war für sie nicht üblich, auf Reisen zu gehen. Liv hatte die Plantage noch nie verlassen, und für Kiri war es eher eine unschöne Reise in die Vergangenheit. An ihren letzten Aufenthalt in der Stadt, beim Sklavenhändler Bakker, dachte sie nicht gern zurück.
Julie saß da und wusste nicht, ob es richtig war, was sie tat. Vor ihrer Abfahrt hatte sie sich fast noch mit Karl gestritten. Er war schon mit übler Laune aus der Stadt zurückgekehrt, und der Trubel, der auf der Plantage herrschte, war da auch nicht gerade hilfreich. Nico war nicht gewillt gewesen, sich an der Veranda anbinden zu lassen, und Aiku hatte seine liebe Not gehabt, den Vogel zu bändigen. Karl war dann dazwischengegangen und hatte das Tier so barsch angefasst, dass es sogar ein paar Federn verloren hatte. Julie hatte kurz aufgeschrien, aber nicht eingegriffen. Was hätte sie schon tun können?
Die Sorge, wie die nächsten Wochen verlaufen würden, bedrückte sie. Würde sie mit Pieter und Martina in der Stadt überhaupt fertig werden? Was, wenn Martina doch wieder zickig wurde? Was, wenn Pieter in der Stadt versuchen würde, Julie zu drangsalieren – immerhin hatte sie ihn jetzt gewissermaßen in der Hand, das würde er so nicht hinnehmen. Vielleicht würde er versuchen, sie und Martina gegeneinander auszuspielen. Und dann war da ja noch Karl. Er war gar nicht begeistert gewesen, dass Julie mit in die Stadt wollte. Jetzt, nach Pieters Andeutungen, schien Julie auch klar, warum: Vermutlich hatte er Angst, dass Julie ihm dort auf die Schliche kam. Geschäftliches habe er zu erledigen, hatte er stets betont. Aber laut der Ausführungen des Buchhalters kümmerte er selbst sich in der Stadt um alles Wesentliche. Und Karl war sowieso auf einem Pferd gewandter als an seinem Schreibtisch. Julie hatte beschlossen herauszufinden, was Karl hinter ihrem Rücken trieb. Sie war wütend auf ihn. Wenn er sie schon hinterging, dann wollte sie es auch wissen.
Sie kamen gut voran, und Pieter drängte die Sklaven, ohne Pause durchzurudern. Eigentlich war ein Zwischenstopp auf einer Plantage vorgesehen, aber bis zur aufsteigenden Flut war der Fluss in Richtung Stadt gut befahrbar, und Julie brannte nicht darauf, die Zeit bis zur nächsten Tide bei fremden Leuten zu verbringen, auch wenn Martina und die Sklaven erschöpft wirkten. So erblickten sie bereits am frühen Abend die Stadt. Nach und nach tummelten sich immer mehr Boote auf dem Fluss, und dann bot sich Julie das Bild, welches sie damals, bei ihrer ersten Ankunft in Paramaribo, als Erstes gesehen hatte. Wieder lagen in der breiten Flussbucht einige große Schiffe vor Anker, umschwirrt von vielen kleinen Booten.
Julie wurde gewahr, wie abgeschieden sie die letzten Monate auf der Plantage verbracht hatte. Bei dem Gedanken, jetzt bald in der Stadt zu sein, regte sich eine gewisse Nervosität
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