Im Land des Falkengottes. Amenophis
Hofbeamten, die vor dem Saal gewartet hatten. Zum Zeichen ihrer Ehrerbietung und ihres Gehorsams legten sich auch dort alle auf den Boden und verharrten so lange, bis Amenophis sich umdrehte und in den Palast zurückging. Posaunenstöße verkündeten allen, dass sie sich wieder erheben durften und dass die Zeremonie beendet war.
Nun begann offiziell die siebzigtägige Trauer. Die Frauen trugen ihr Haar offen, die Männer rasierten sich fortan nicht mehr. Es fanden keine Festlichkeiten mehr statt, und überall war die Angst der Menschen zu spüren, Maat, unsere göttliche Ordnung, könne zusammenbrechen und an ihre Stelle die gefürchtete Isfet treten. Erst mit der Krönung des neuen Herrschers würde diese Angst der Gewissheit weichen, dass unser Land wieder sicher geführt wird.
Auf ausdrücklichen Wunsch Amenis verbrachte ich die nächsten Tage und Nächte im Palast, ehe ich wieder in unserem Haus übernachtete.
Im Palast herrschte während dieser Tage eine merkwürdige Betriebsamkeit. Jeden Tag fanden stundenlange Besprechungen zwischen meinem Vater, dem Wesir Ptahmose und Königin Mutemwia statt, an denen zwischendurch auch Ameni teilnahm. Hierbei ging es in erster Linie um die Organisation der anstehenden Beisetzung des Osiris Thutmosis Men-chepru-Re, um die sich anschließenden Krönungsfeierlichkeiten in Waset und die dafür notwendige Ladung der Gäste.
Gleichzeitig wurden aus den Gemächern des verstorbenen Pharaos Möbelstücke, Kleidung und Schmuck entfernt. Ein Teil davon wurde für die Beisetzung ausgesucht und vorbereitet, der andere Teil eingelagert und aufgearbeitet, bis entschieden war, wie weiter damit verfahren werden sollte.
Amenophis äußerte den Wunsch, dass in seinen künftigen Gemächern vorerst alle seine bisherigen Möbel aufgestellt werden.
Unter den strengen Augen der königlichen Witwe Iaret und des Schatzmeisters Merire sowie des Schreibers Seiner Majestät Hebi – der ein Sohn des Wesirs Ptahmoses war –, wurde Raum für Raum durchgegangen und festgehalten, welche Stücke für die Beisetzung bestimmt waren. Hierüber fertigte Hebi eine genaue Liste an. Diener des Palastes trugen die ausgewählten Stücke unter der Aufsicht von Offizieren der Leibgarde in das Schatzhaus Seiner Majestät. Nachdem das Grabinventar vollständig erstellt war, wurden Ameni und ich von Merire, Ptahmose und meinem Vater dorthin geführt. Als künftiger Herrscher musste Amenophis letztendlich die Inventarliste genehmigen und das Prüfprotokoll bestätigen. Anders hätte Merire – aus eigenem Interesse –, selbst unter Androhung des Todes, auch nicht einen Ring herausgegeben. Würde sich eines Tages der Verlust eines Stückes herausstellen, und könnte der Schatzmeister hierfür keine Erklärung abgeben, hätte dies den grausamen Tod durch Pfählen zur Folge gehabt. Das musste jeder wissen, der Schatzmeister Seiner Majestät werden wollte.
Die Sammlung der Grabbeigaben war überwältigend. Die vielen Gebrauchsgegenstände für das jenseitige Leben des Osiris Thutmosis Men-chepru-Re wurden in einem eigenen Saal des Schatzhauses eingelagert. Dort befanden sich der Streitwagen, den der verstorbene Pharao auf seinen Feldzügen benutzte, und sein Prunkwagen; die Pferdegeschirre, die Kriegsrüstungnebst zahlreichen Waffen, die Jagdausrüstung, der Thron Seiner Majestät, goldene Wedelstangen mit Pfauenfedern, das Bett aus dem Schlafgemach sowie zwei zusammenlegbare Betten, die der König auf Reisen oder bei Feldzügen mitgeführt hatte. Sein Arbeitstisch mit Schreibgerät befand sich dort ebenso wie zahlreiche Stühle und Truhen.
Unzählige Leuchter, kostbare Schalen aus Alabaster, Gold und Elektron, Kästen aus Elfenbein mit den Ringen und Armreifen des Herrschers und schließlich zwölf Truhen aus edlem Holz mit den kostbarsten und den liebsten Gewändern des Verstorbenen waren hier außerdem versammelt. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen solchen Schatz gesehen.
In einem weiteren Raum wurden die Lebensmittel aufbewahrt, die Pharao für seine Reise brauchte: vierzig versiegelte Tonkrüge mit dem besten Wein unseres Landes. Auf jedem Krug war geschrieben, aus welchem Regierungsjahr Seiner Majestät der Wein stammte. Hunderte Laib Brot sowie Obst und Gemüse, Mehl, getrocknetes Fleisch und seltene Gewürze lagen für das Leben in der anderen Welt bereit.
In einem dritten Raum schließlich befanden sich zahlreiche Kultgegenstände für das Grab des verstorbenen Herrschers. Es waren
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