Im Licht der roten Erde
Protokoll der Aborigines betrifft. Ich dachte, sie wären ziemlich locker.«
Alan grinste. »Es gibt eine Regel für fast alles: wo man sitzt, in welche Richtung man blickt, wer wem den Vortritt lässt, wann man spricht, wann man zuhört – es ist ein sehr komplexes Gemeinschaftssystem. Ich musste viel lernen, um ihr Vertrauen zu gewinnen, und ich musste lernen, ihre Kunst wegen ihres Sinngehalts zu schätzen und nicht wegen ihres ästhetischen Werts – da zahlt es sich aus, ein geduldiger Mensch zu sein.«
Susan stellte fest, dass der ruhig sprechende Kunsthändler ein gut informierter, wortgewandter Begleiter war. Als sie im Taxi durch die Stadt rollten, fragte sie Alan nach seinen Plänen für den Rest des Tages.
»Ich werde mir einen Wagen mieten, um nach Bungarra zu fahren.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Möchten Sie mitkommen? Es ist bestimmt interessant. Auf jeden Fall anders.« Er lachte. »Dort wohnt ein Pärchen in einem großen alten Haus, in dem die Künstler Tag für Tag arbeiten. Judy und Max Osborne sind die Koordinatoren, wir können bei ihnen übernachten. Alles ist voller Bilder. Judy kocht, mischt Farben, hilft, wenn es Probleme bei Ausstellungen gibt, und verzeichnet die Details jedes einzelnen Werkes.«
»Klingt nach einem geschäftigen Ort.«
»Ziemlich geschäftig.«
»Ich würde Sie liebend gern begleiten, vorausgesetzt, ich stehe Ihnen nicht im Weg. Wann wollen Sie losfahren?«
»In ungefähr einer Stunde. Ich werde im Motel einchecken, den Wagen holen, und dann geht’s los. Die Fahrt dauert etwa sechs Stunden, wir können also vor Einbruch der Dunkelheit dort sein, den morgigen Vormittag mit den Künstlern verbringen und am Nachmittag wieder im Motel sein.«
»Wir werden morgen alle zum Abendessen erwartet.«
»Die große Versammlung, hm?« Alan grinste ironisch. »Glauben Sie, wir werden später einmal Jahrestreffen abhalten wie mit ehemaligen Schulkameraden?«
»Wer weiß, könnte doch genauso gut sein, dass wir kein Wort mehr miteinander wechseln wollen«, erwiderte Susan lachend.
»Es wird nicht gerade ein Picknick werden, doch die kulturelle Erfahrung wird hoffentlich den schmerzenden Rücken wettmachen.«
»Gibt es dort viele Mücken? Und was ist mit Schlangen und Spinnen?«
»Jetzt brauchen Sie sich darüber keine Sorgen mehr zu machen. Sie sind hier, die Entscheidung ist getroffen, also stehen Sie dazu – es ist ein großes Abenteuer, ein einzigartiges Erlebnis. Nicht viele Australier bekommen eine solche Gelegenheit. Und überhaupt: Nachts wird es kalt, Sie können also Ihr Insektenschutzmittel auftragen und sich ins Zelt zurückziehen.«
»Richtig«, sagte Susan, doch sie klang nicht überzeugt. »Ich hoffe, wir haben Zelte, ich habe keine Ahnung, was für Bedingungen wir vorfinden werden. Beth sagte, jemand würde sich darum kümmern. Wissen Sie Genaueres?«
Alan schüttelte den Kopf und nahm seine Tasche. »Ich bin daran gewöhnt, auf dem Fußboden zu schlafen. Alles eine Erfahrung, stimmt’s?«
Eine weitere Erfahrung konnten sie machen, als sie eine Stunde vor Bungarra einen Aborigine-Anhalter mitnahmen. Der junge Mann warf seine Sporttasche auf den Rücksitz und sprang in den Wagen, sein Gesicht glänzte vor Schweiß. »Mann, ist das heiß hier draußen! Seit Stunden ist niemand mehr vorbeigekommen. Mensch, Klimaanlage, super!« Er lehnte sich zurück und genoss den kühlen Schwall aus der Klimaanlage. Der Geruch nach abgestandenem Bier und Schweiß waberte durch den Mietwagen. Susan gab sich Mühe, nicht die Nase zu rümpfen. Sie wandte sich auf ihrem Sitz um und fragte ihn, wo er gerade herkomme.
»Minenbau. Ich bin Raupenführer. In ein paar Wochen komme ich wieder, wenn es den Job dann noch gibt.«
»Was für eine Mine?«
»Diamanten. Ist ’ne ganz schön große. Gehört Leuten aus Übersee. Ständig schnüffeln irgendwelche Ausländer da herum.«
Alan blickte ihn im Rückspiegel an. »Was meinen Sie damit: Wenn es den Job dann noch gibt?«
»Hat nichts mit mir zu tun, Kumpel. Hab bloß gehört, es würde sich womöglich nicht lohnen. Mehr Felsen als Steine.« Er grinste.
»Sie meinen, die Diamanten werden knapp?«, fragte Susan geradeheraus.
»Sie behaupten, da sind noch Diamanten für die nächsten zehn Jahre drin, aber man muss ihnen nicht alles glauben. Kumpel von mir arbeiten in der Aufbereitung, wo die Steine auch sortiert werden, und sie sagen, es reicht vielleicht gerade noch für zwei Jahre. Woanders ist es
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