Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
wurde.
Neun
Er brachte ihr Blumen mit, und dann setzten sie sich an den liebevoll gedeckten Tisch und speisten im Schein der Kerzen.
Immer wieder berührte er sie, strich über ihre Hand, drückte kurz ihren Arm, streifte ihre Schulter. Kostbare Sinneswahrnehmungen, gespeichert für eine endlose Zeit der Sehnsucht.
Er brachte sie zum Lachen, um auch diesen Klang in seiner Erinnerung zu speichern. Er stellte ihr Fragen, um sich ihre Stimme genau einzuprägen, deren Melodie und Rhythmus.
Nach dem Essen machte er mit ihr einen Spaziergang, um noch einmal zu sehen, wie das Mondlicht in ihrem Haar schimmerte.
Und spät nachts liebte er sie voller Zärtlichkeit, kostete jede Stelle ihres Körpers aus. Und wusste, es würde das letzte Mal sein.
Als sie eingeschlafen war und er ihr leichte, angenehme Träume gesandt hatte, stand sein Entschluss endgültig fest. Und er wusste jetzt auch, wie er vorgehen würde.
Sie träumte, doch es waren keine angenehmen Träume. Sie hatte sich im Wald verirrt, im dichten Nebel, der wie ein rauchiger Schleier über den Bäumen und dem Weg hing.
Licht schimmerte hindurch, und kleine Dunsttröpfchen glitzerten wie Juwelen auf. Juwelen, die unter der Berührung ihrer Hand schmolzen und sich in nichts auflösten.
Sie hörte Geräusche – Schritte, Stimmen, sogar Musik –, doch sie klangen gedämpft. Wie Unterwassergeräusche, die keine Substanz annahmen. Und so sehr sie sich auch bemühte, die Quelle dieser Geräusche zu finden, sie kam ihnen nicht näher.
Die Umrisse der Bäume waren verschwommen, die Farben der Blumen erloschen. Als sie zu rufen versuchte, trug ihre Stimme nicht weiter als bis zu ihren Ohren.
Eine tiefe Einsamkeit erfasste sie, und sie begann zu rennen. Sie musste nur den Ausgang finden. Es gab immer einen Weg nach draußen. Sie musste zurück zu Flynn. Von Panik gepackt, versuchte sie, den Nebel mit den Händen wegzuwedeln, ihn mit den Fingern auseinander zu reißen, mit den Fäusten zu zerschlagen.
Doch ihre Hände glitten durch den Nebel hindurch, der graue Vorhang blieb ganz.
Schließlich erspähte sie im Dunst die schattenhaften Umrisse von Flynns Burg. Die Turmspitzen und Zinnen wirkten in der trüben Luft wie mit Weichzeichner geglättet. Sie rannte darauf zu, schluchzte vor Erleichterung. Und dann vor Freude, als sie Flynn vor der massiven Tür entdeckte.
Mit ausgebreiteten Armen lief sie ihm entgegen, die Lippen bereits zum Willkommenskuss gespitzt.
Und als ihre Arme durch ihn hindurchglitten, verstand sie, dass auch er Nebel war.
Genauso wie sie.
Weinend erwachte sie und streckte die Hand nach ihm aus, doch der Platz neben ihr war kalt und leer. Sie zitterte am ganzen Leib, obwohl im Kamin ein helles Feuer flackerte. Ein Traum, nur ein Traum, sagte sie sich. Kein Grund zur Unruhe. Aber trotzdem fror sie und stieg aus dem Bett, um sich in den dicken blauen Morgenmantel zu hüllen.
Wo war Flynn? Sie wachten immer zusammen auf, als wären sie mit dem Schlaf- und Wachrhythmus des anderen verbunden. Sie ging zum Kamin, um sich ihre eisigen Hände zu wärmen, und warf dabei einen Blick aus dem Fenster. Draußen schien hell die Sonne, was erklärte, weshalb Flynn beim Erwachen nicht mehr neben ihr gelegen hatte.
Sie hatte den ganzen Vormittag verschlafen.
Sieh mal an, dachte sie amüsiert. Bis in die Puppen geschlafen, die ganze Nacht geträumt. Das sah ihr so gar nicht ähnlich.
Nein, das sah ihr wirklich nicht ähnlich, dachte sie wieder, während sie mechanisch die Hände über dem Feuer rieb. Träumen. Sie konnte sich nie an ihre Träume erinnern. Auch nicht an Bruchstücke oder winzige Fetzen. Doch an diesen Traum erinnerte sie sich so deutlich, so detailliert, als hätte sie ihn tatsächlich erlebt.
Weil sie entspannt war, sagte sie sich. Weil sie innerlich entspannt und gelöst war. Es hieß doch immer, dass Träume ganz real erscheinen konnten. Bisher hatte sie das nie geglaubt, doch jetzt konnte sie das bestätigen.
Gleichwohl sollte sie ihren Traum so schnell wie möglich vergessen, da er so furchterregend war. Und so unendlich traurig.
Aber jetzt war er vorbei, und draußen erwartete sie ein neuer, schöner Tag. Kein Nebel umwehte die Bäume. Die Blumen waren in Sonnenlicht getaucht und schimmerten in lebhaften Farben. Die Wolken, die sich so oft am irischen Himmel auftürmten, hatten sich verzogen und ein tiefes, strahlendes Blau hinterlassen.
Sie würde hinausgehen und Blumen pflücken, die sie in Dilis Mähne flechten wollte.
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