Im Licht des Mondes: Roman (German Edition)
selber mit ihr nach Trinidad fahren.«
»Siehst du, was du angerichtet hast.« Sam grinste sie an. »Freundschaften zerstört, Aufläufe verursacht. Komm lieber runter, bevor ich mich mit meinen neuen Kumpels um dich schlagen muss.«
Sie lachte, trat zurück und schloss die Tür.
Er wartete auf sie. Als er sie auf der Terrasse gesehen
hatte, waren ihm die Knie weich geworden. Sie sah so wunderschön aus – und so traurig. Herzzerreißend traurig. Er würde alles darum geben, diese tiefe Sorge in ihren Augen zu vertreiben. Und alles, wirklich alles, um ihren dünnen Schutzschild, den sie zwischen ihnen aufgebaut hatte, zu durchbrechen, um ihre Gedanken lesen zu können, in ihr Herz blicken zu können.
Vielleicht lag der Schlüssel dazu in schlichter Unkompliziertheit, wenigstens für einen Abend.
Er stand auf dem Bürgersteig, als sie herauskam und die Ladentür abschloss. Sie trug ein eng anliegendes langes Kleid, gemustert mit kleinen gelben Rosenknospen. Ihre Schuhe bestanden mehr oder weniger nur aus geflochtenen Lederbändern über einer Plateausohle. Er fand das dünne Goldkettchen, das sie um ihren linken Knöchel trug, ungeheuer sexy.
Sie drehte sich um, schlang sich die Riemen ihrer Tasche über die Schulter und betrachtete prüfend den Bürgersteig. »Wo sind deine Freunde?«
»Ich habe sie mit freien Drinks in der Hotelbar bestochen.«
»Aha. Ich wurde also gegen ein kaltes Bier eingetauscht.«
»Möchtest du nach Trinidad?«
»Nein.«
Er nahm ihre Hand. »Möchtest du ein Eis?«
Sie lachte wieder, schüttelte ihren Kopf. »Ich muss zur Bank und meine Tageseinnahmen einzahlen. Was, das möchte ich doch betonen, nicht spießig, sondern verantwortungsvoll ist.«
»Schon gut. Ich begleite dich.«
»Was machst du in der Stadt?«, fragte sie ihn, während sie in Richtung Bank gingen. »Hast du so lange gearbeitet?«
»Nicht direkt. Ich bin schon vor einer Stunde nach Hause gegangen. Ich konnte keine Ruhe finden und bin zurückgekommen.« Und, dachte er, genau zum richtigen Zeitpunkt, wie geplant. Genau in dem Moment, in dem sie die Buchhandlung verlassen würde.
Er betrachtete eine kleine Gruppe auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie trugen fließende Gewänder und waren mit tonnenschweren Silberketten mit Kristallanhängern behängt.
»Amateure«, brummte er und zog eine Grimasse.
»Sie sind harmlos.«
»Wir könnten einen Sturm aufziehen lassen oder die Straße in eine Wiese verwandeln, könnten sie mal ordentlich erschrecken.«
»Lass das.« Sie kramte ihren Schlüssel zum Schließfach raus.
»Sag ich doch, du bist spießig.« Er seufzte theatralisch. »Es ist jammerschade, dass dieses hoffnungsvolle Talent sich in einen Vorschriftenkatalog verwandelt hat.«
»Ach, wirklich.« Sie konzentrierte sich auf ihre Einzahlung und verstaute ihre Quittung in ihrem Portemonnaie. »Ich wusste bisher nicht, dass du dich für Vorschriftenkataloge interessierst.«
»Wenn sie so aussehen wie du, lerne ich sie auswendig.«
Sie verdrehte nur ihre Augen und blickte zurück auf die Straße. Er hatte viele verschiedene Stimmungen, dachte sie. Heute Abend war wohl Herumalbern angesagt.
Sie hatte nichts gegen ein bisschen Herumalbern.
Und als die Gruppe Möchtegernhexen sich einem Balkonkasten halb verwelkter Dahlien näherte, machte sie eine leichte Handbewegung. Die Blumen blühten plötzlich wieder in voller Pracht.
»Das schmeißt sie um«, grinste Sam angesichts der erstaunten Ausrufe auf der anderen Straßenseite. »Hübsche Idee.«
»Spießig, du meine Güte. Und jetzt hätte ich gern ein Eis.«
Er kaufte ihr eine gelbe und eine orange Kugel in einer Waffel und überredete sie zu einem Strandspaziergang. Der Mond war fast voll und würde am Sonnenwend-Wochenende dick und rund sein.
Und ein voller Mond zur Sonnenwende bedeutete Belohnung und Versprechen. Und die Fruchtbarkeitsriten, die den Herbst einleiteten.
»Letztes Jahr war ich in Irland während der Sonnenwendfeier«, erzählte er ihr. »Es gibt dort ein kleines Steinheiligtum, in Cork. Sehr viel anheimelnder als das in Stonehenge. Es bleibt bis beinahe zehn Uhr hell, und wenn die Dunkelheit langsam einsetzt, fangen die Steine an zu singen.«
Sie schwieg, blieb aber stehen und blickte aufs Meer. Es umschloss, Tausende von Meilen entfernt, eine andere Insel. Und den Steinkreis, wo er im letzten Jahr gewesen war.
Sie war hier gewesen, wo sie immer war. Eine einsame Hexe. Eine einsame Feier.
»Du bist nie dorthin gegangen«,
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