Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
golden schimmernde Stäbe in der Hand. An dem einen Ende war ein kurzer zweiter Schaft neben dem ersten angebracht, am anderen Ende waren die Stäbe geformt wie Enterhaken.
Der Raum hinter den Fremden war angefüllt mit alchemistischen Apparaturen. Glaskolben mit bunten Flüssigkeiten waren auf einem Tisch aufgebaut, gläserne Röhrchen wanden sich darum und verschwanden im Boden. Glitzernde Metallfolien schwebten schwerelos in der Luft. Kristalle und Prismen hingen in komplizierten Gestellen und ließen farbige Lichtspiele über die Mauern tanzen.
Die Männer aus der Zitadelle hatten ein hageres Gesicht und graues Haar, und alle trugen einen grauen Bart. Einer von ihnen, der keine Waffe hielt und bei Halime stand und ihr den Arm um die Schulter gelegt hatte, trug den längsten Bart von allen. Er musterte die Menschen am Boden. »Ihr Narren«, sagte er. »Was dringt ihr in diese Feste ein und spielt mit den Mächten, die eine ganze Welt ins Verderben reißen können? Die Gier der Menschen, sie wird unser Untergang sein!«
Gontas setzte sich auf. Er spie dem Alten vor die Füße. »Ich bin diese verrückten Greise leid, die ständig unheilschwangere Andeutungen raunen, über die Zitadelle und das Ende der Welt und was weiß ich für sinnloses Gebrabbel. Bei allen Geistern! Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es jetzt! Wer bist du, und was hat es auf sich mit diesem Ort?«
Der Alte sah ihn an. »Klare Worte? Nun gut. Wir stehen hier in der Zitadelle der alten Götter, und wir sind die Hüter dieses Ortes, der Orden der Bewahrer. Vor Tausenden von Jahren haben unsere Vorfahren die alten Götter vertrieben und diese Maschine gebaut, um sie von unserer Welt fernzuhalten. Seitdem leben wir hier, wir pflegen die Maschine und suchen einen Weg, die Pforten endgültig zu verschließen.
Denn wenn die alten Götter eines Tages zurückkehren und obsiegen, dann wird nichts bleiben von der Welt, so wie wir sie kennen. Die Völker im Westen, im Süden und im Osten, deren geheime Beschützer wir sind, sie alle werden fallen. Die Götter werden auf Erden wandeln und die Menschheit verschlingen, und nur diese Zitadelle und das Opfer unseres Ordens steht zwischen der Welt und ihrem Untergang.«
»Die Gottesstreiter«, murmelte Gontas. »Das war also dieser Teil der Vision.«
Tarukan kam zu sich. »Hüter?«, sagte er. »Wenn ihr die Wächter der Zitadelle seid, was sind dann diese geflügelten Ungeheuer in den unteren Türmen?«
»Die Engel«, erklärte der Alte. »Sie sind die Wachhunde der alten Götter, die früheren Wächter dieses Ortes. Sie verfolgen alle Fremden, die die äußere Wehr durchbrechen, die hier eindringen, um zu plündern und zu zerstören. Deswegen dulden wir sie.«
Der Alte bedachte Tarukan mit einem tadelnden Blick. »Erkennst du, was du aufs Spiel gesetzt hast? Wir können nicht zulassen, dass ihr die Maschine zerstört, dass ihr die Zitadelle schändet und uns alle ins Verderben reißt.«
»So ein Unsinn«, knurrte Tarukan. »Ich wollte die Zitadelle verstehen und ihre Mittel gebrauchen, und ich kann sie gewiss besser hüten als eine Horde seniler Greise, die hier seit Jahrtausenden in Inzucht leben. Die Einzige, die eure Maschine am liebsten gleich zertrümmert hätte, das war dieses Mädchen dort.« Er wies auf Halime.
»Ja, das arme Ding.« Der Alte strich Halime zärtlich über die Haare. »Unsere verlorene Tochter. Vor langer Zeit haben einige der Unseren die Zitadelle verlassen. Der böse Ort vergiftete ihre Gedanken, sie konnten es nicht ertragen. Also verließen sie ihre Pflicht und suchten im Süden eine Zuflucht. Das Kind muss eine Tochter sein, eine Nachfahrin, eine von uns. Wir werden uns ihrer annehmen. Die Geschichten und die Albträume ihrer Eltern müssen ihren Geist heimgesucht haben, und aus Angst oder aus Unwissenheit mag sie die falschen Schlüsse gezogen haben. Aber wir können sie heilen. Nicht wahr, Kind? Willst du die Zitadelle immer noch zerstören?«
Halime schüttelte den Kopf. »Ich … nein. Ich erinnere mich jetzt an die Geschichten, ja … Das Böse ist in die Zitadelle geschlichen. Es hat sie vergiftet und ihren Zweck verkehrt. Aber ich … ich weiß nicht …«
Sie klang verwirrt, fahrig. Da war ein neuer Ton in ihrer Stimme, der noch weniger zu einem Kind passen wollte als ihre entschlossenen Worte einige Stunden zuvor. Dabei wirkte sie viel unsicherer, ganz anders als jene Halime, die auf rätselhafte Weise die geheimen Türen und Pfade der Zitadelle
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