Im Morgengrauen
reiten wollten – was mich zusammenzucken ließ. Wusste sie denn nicht, dass er seit Mamas Tod nicht mehr auf ein Pferd gestiegen war? Entgeistert starrte ich sie mit aufgerissenen Augen an, die sie stumm tadelten:
„Wie kannst du nur?“
Verblüfft musste ich aber sofort den Kopf zu meinem Vater drehen, der nämlich antwortete: „Das ist eine ausgezeichnete Idee.“
An Omas selbstzufriedenem Lächeln erkannte ich sofort, dass sie keinen Fauxpas begangen hatte. Ihre Frage war mit Kalkül gestellt gewesen, und ihr war bei meinem Vater wieder ein Schritt nach vorne geglückt. Allem Anschein nach hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Schwiegersohn wachzurütteln, und sie schien dabei auch noch Erfolg zu haben.
Als Papa mir vor dem Schlafengehen schöne Tage in Paris wünschte, versprach ich, mit ihm zu frühstücken. Während die Männer sich verabschiedeten, ging ich in die Küche, um die Gläser in die Spülmaschine zu räumen. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer konnte ich noch die Belehrung meines Vaters hören: „Ich vertraue sie dir an. Pass gut auf sie auf. Wehe, du verletzt sie … Sie ist sehr zerbrechlich.“
„ Mach dir keine Sorge. Ich hänge zu sehr an ihr.“
„ Wehe, du verletzt mich!“, wiederholte ich, als wir uns endlich in meinem Zimmer befanden.
Ich war dabei an Yannicks Hals gesprungen und schlang ihm die Beine um die Hüfte. Überrascht torkelte er unter meinem Gewicht zum Bett, und ließ sich mit mir auf die Matratze fallen.
„ Entweder werde ich alt oder ich habe zu viel getrunken“, stöhnte er.
„ Du hast definitiv zu viel getrunken: Du stinkst meilenweit nach Alkohol. Zeit, dass wir gehen, ihr trinkt zu viel, wenn ihr zusammen seid. Geh dir die Zähne putzen, wenn du mich küssen willst.“
„ Und wenn ich nicht mehr aufstehen mag?“
„ Dein Pech!“
Ich sprang auf und holte schon mal Kleidungsstücke aus dem Schrank, die unbedingt in den Koffer mussten. Yannick verschwand im Badezimmer und kam mit frischem Atem zurück. In der Zwischenzeit hatte ich ein graues Negligé aus Seide angezogen, das wie ein Magnet auf ihn wirkte.
34
Yannick weckte mich in aller Früh, weil er wusste, dass mir das Frühstücken mit meinem Vater wichtig war. Seine innere Uhr, die ihn Morgen für Morgen aus meinem Bett gerissen hatte, war scheinbar noch nicht abgestellt. Während ich mich ankleidete, unterhielt ich mich mit ihm, zumindest dachte ich das, bis ich feststellte, dass er bereits wieder eingenickt war. Typisch! Nur ein männliches Geschöpf war in der Lage, so schnell wieder in den Schlaf zu sinken.
Eine seltsame Stimmung füllte den Raum, als ich mit meinem Vater am Frühstückstisch saß. Wir vermieden es krankhaft, Paris zu erwähnen. Erst kurz vor seinem Aufbruch steckte mir Papa Taschengeld zu, damit ich Yannick nicht ruinierte. Selbstverständlich bat er mich, auf mich zu achten und anzurufen, sobald wir angekommen waren.
Gegen neun rief ich Manuel an, um zu fragen, ob er mit mir reiten wollte.
„ Blöde Frage. Natürlich, bis gleich!“
Er legte sofort auf, ohne mir die Gelegenheit zu geben, noch ein einziges Wort loszuwerden, als fürchtete er, ich könnte meine Meinung ändern. Ich schlüpfte in meine Reitkluft und rannte zum Pferdestall. Beim Anblick seines breiten Lächelns spürte ich ein Stechen in meiner Brust. Mein schlechtes Gewissen plagte mich schon wieder. Ich wusste, dass dieses Strahlen gleich aus Manuels Gesicht schwinden würde.
„ Guten Morgen, Lilly! Schön, dass wir ausnahmsweise zu zweit reiten gehen.“
Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
„ Ich wollte mich von dir verabschieden.“
„ Ist es jetzt so weit?“, sein Lächeln wurde melancholisch.
Um seinem Blick auszuweichen, kramte ich in meine Jackentasche, und holte eine kleine Tüte hervor: „Ich habe etwas für dich.“
„ Du hast daran gedacht!“, freute er sich, als er die Locke an sich nahm.
„ Ich hatte sie dir versprochen.“
„ Es war aber, bevor ich mit Aurelie zusammen war.“
„ Ja und? Ich war schließlich schon mit Yannick zusammen, als du mich danach gefragt hast.“
„ Das stimmt, danke! Ich hoffe nur, es ist kein Abschiedsgeschenk.“ War das Zufall oder Vorahnung? Ich zog es vor zu schweigen. „Lilly, darf ich dich in die Arme nehmen?“
„ Ich halte das für keine gute Idee“, wandte ich ein und entzog mich seinem Blick, indem ich Aquila aus ihrer Box holte.
Unser Ritt zum Fluss war drückend schweigsam. Scheinbar
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