Im Notfall Buch aufschlagen: Tipps für alle möglichen Katastrophen (German Edition)
sich ein dicht geknüpftes Netz aus Briefkästen, Sortierzentralen und Verladestationen über die Welt. Zwischen diesen Knotenpunkten sausen Flugzeuge, LKWs und Fahrräder mit extrastarken Gepäckträgern hin und her. Das Postsystem ist eine internationale Anerkennungsinfrastruktur, eine Logistik der Liebe, die leider sehr anfällig ist für Missbrauch und Täuschung (und nein, es geht hier nicht um Kettenbriefe). Postsendungen sieht man ihren Inhalt von außen nicht an, sie können alles enthalten, die Walnussplätzchen der Großmutter oder 120 Gramm TNT.
Die Post – Werbeslogan: «Menschen erreichen!» – löst ein Problem, mit dem sich Attentäter und Terroristen schon lange Jahre herumschlagen: Wie bringe ich die Bombe anonym und effektiv in die Nähe der Zielperson? Briefbomber übertragen die gefährliche Aufgabe des Transports und der Annäherung an das zu tötende Subjekt dem freundlichen Postbeamten. Den Rest erledigt dann der neugierige Empfänger, der sich über jede Sendung freut und in dem Moment, in dem er den Brandbrief öffnet, zum Komplizen des auf ihn selbst verübten Anschlags wird: Der freudig erregte Adressat mutiert zum ahnungslosen Selbstmörder, vergiftet sich mit Milzbrand oder sprengt sich selbst in die Luft.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ließ der Schwede Martin Ekenberg insgesamt 34 Erfindungen patentieren, weltberühmt wurde er aber für eine ganz andere Idee: Aus maßloser Wut darüber, dass Karl Fredrik Lundin, der Direktor der Schwedischen Zentrifugengesellschaft, für den er einen tatsächlich genialen Apparat zur Bestimmung des Milchfettgehalts entwickeln wollte, die Zahlungen einstellte, schickte Ekenberg dem geizigen (und wohl nicht besonders klugen) Mann im Jahr 1904 die erste Briefbombe der Geschichte. Lundin überlebte schwer verletzt.Bis 1910 verübte Ekenberg drei weitere postalische Anschläge. Zu diesem Zeitpunkt drohte das schwedische Postsystem zusammenzubrechen, aufgeschreckte Bürger verweigerten die Annahme von Paketen und brachten Geschenke ungeöffnet zur Polizei. Ein ähnlicher Effekt zeigte sich im Oktober 2001, als mehrere amerikanische Politiker und Journalisten mit Milzbrandsporen gefüllte Sendungen erhielten. Die Erreger infizierten nicht nur die Atemwege der ahnungslosen Opfer, sondern auch das Postsystem, das kurzzeitig zum Stillstand kam.
2010 kursierten wieder Briefbomben. Angela Merkel erhielt im Herbst eine Todessendung von griechischen Linksradikalen. Es wäre aber eine Überreaktion, den Postboten von nun an komplett auszusperren. Schließlich zeigt die historische Erfahrung, dass es recht einfach ist, eine Briefbombe zu erkennen. Der wichtigste Tipp ist, die Sendung nicht gierig aufzureißen, sondern einem genauen Security-Check zu unterziehen.
Erste Hinweise liefert bereits das Adressfeld eines Pakets. Als Menachem Begin, der spätere israelische Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger, im Jahr 1952 ein Briefbombenattentat auf Konrad Adenauer in Auftrag gab, schrieben die Kurierkiller einfach «An den Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, Bundeshaus, Bonn» auf das Paket. Die Sendung fiel bereits in der Sortieranlage in München auf, explodierte im Kommissariat und tötete einen Polizeibeamten statt den deutschen Kanzler. Knapp 60 Jahre später haben die Briefbombenattentäter nur wenig hinzugelernt – zumindest hofft das das amerikanische Heimatschutzministerium. Glaubt man der US-Behörde, sollte man als Postempfänger bereits stutzig werden, wenn die Adresszeile mit Hand geschrieben oder mit Rechtschreibfehlern gespickt ist, sowie wenn die Absenderadresse fehlt oder ganz offensichtlich gefälscht wurde. Auch wenn Poststempel und der angegebene Absendeort nicht übereinstimmen oder Wörter wie «Persönlich» und «Vertraulich» auf dem Kuvert auftauchen, sollte Ihre innere Warnglocke schrillen.
Nur wenn man die Funktionsweise einer Briefbombe kennt, kann man eine gefährliche Sendung auch erkennen. Eine Briefbombe ist mindestens fünf Millimeter dick und wiegt mehr als 20 Gramm. Die Explosion wird entweder von einer Reißleine ausgelöst oder von Licht, das nach dem Öffnen des Briefs auf die Elektronik fällt. Aus bautechnischen Gründen liegt der Schwerpunkt eines Sprengstoffbriefs normalerweise nicht in der Mitte. Verräterische Zeichen sind außerdem ungewöhnliche Beulen und Wölbungen, auslaufende Flüssigkeiten sowie der Umstand, dass das Paket exzessiv verschnürt ist (das machen außer Omas heutzutage anscheinend nur noch
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