Im Reich der Vogelmenschen
darüber, daß das, was geschehen war, für die »Seeschlange«, ihre Offiziere und Mannschaften, erst den Anfang bedeutete.
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Kenlon stellte fest, daß er eine schwere Sprache lernen mußte, und der Vogelmensch hatte die gleichen Schwierigkeiten mit dem Englisch. Gewöhnliche Worte wie Hand, Fuß, Flügel wurden fast unverständlich, wenn sie aus dem Mund des Vogelmenschen kamen. Und Kenlons Versuche, die melodischen Laute des Mannes mit den Flügeln nadv zuahmen, ließen seinen »Lehrer« nur traurig den Kopf schütteln.
Dennodi erkannte Kenlon, daß sie beide von dem Eifer besessen waren, alle Schwierigkeiten zu meistern, und gegen das Ende der vierten Woche fiel es ihnen verhältnismäßig leicht, sich schriftlich in der Sprache des andern auszudrücken, während es an der mündlichen Verständigung haperte.
Am 31. Tag fühlte sich Kenlon sicher genug, den Kommandanten unter Deck zu bitten, um der Befragung beizuwohnen. Eine ganze Woche lang hatte er, gestützt auf den Wortschatz, den er von dem Vogelmenschen gelernt hatte, seine Fragen niedergelegt. Er hatte die Fragen in zwei Abschnitte geteilt. Er gab dem andern den ersten Teil und beobachtete das von Anstrengung gezeichnete Gesidvt des Vogelmenschen, als dieser, wie sie vereinbart hatten, die Antwort auf jede Frage erst in Englisch und dann in seiner Sprache niederschrieb.
Vier Wochen waren vergangen, dachte Kenlon, als er wartete. Einen ganzen Monat hindurch hatte die »Seeschlange« bewegungslos in einem unsteten grauen Meer unter einem ständig bedeckten Himmel gelegen, eine Meile von einem schrecklichen Land entfernt, das in Wahrheit gar kein Land war.
Es war ein Schiff mit einer verängstigten, völlig verwirrten Besatzung. Die Männer fühlten sich bedroht von einer Gefahr, deren Dimensionen unergründlich waren.
Und sie konnten nichts dagegen tun, wie auch niemand etwas für sie zu tun vermochte. Jones-Gordon, der Mann der Praxis, hatte zehn Pfund abgenommen, und die graue Wirklichkeit mußte sich in seinem tiefsten Innern verankert haben, weil das Schiff sich während des ganzen Monats nicht einmal bewegt hatte.
Typisch für die Wandlung, die mit ihm vorgegangen war, schien die Tatsache, daß er die von Kenlon vorgeschlagene Vorgehensweise ohne jeden Kommentar akzeptiert hatte.
Sie saßen und warteten. Immer wieder ertappte Kenlon sich dabei, daß er nicht den Mann mit den Flügeln, sondern Lieutenant Commander Jones-Gordon beobachtete. Das Gesicht des Commanders schien unbewegt, nur um seine Augen hatten sich Falten gebildet, die von geheimer Sorge zu sprechen schienen.
Kenlon war plötzlich überzeugt, daß Jones-Gordon mit der Situation nicht fertig werden würde, mochte er auch den besten Willen haben, der Wirklichkeit Konzessionen zu machen. Dabei fühlte sich Kenlon dem andern keineswegs überlegen; er verfügte lediglich über jene sonderbare Bereitschaft und Bereitwilligkeit, sich allen Umständen anzupassen, die Dinge zu nehmen, wie sie kamen.
Die Stimme des Vogelmenschen unterbrach seine Überlegungen. »Fertig. Die Fragen sind beantwortet.«
Jones-Gordon zuckte zusammen. Kenlon traf keine Anstalten, das Notizbuch zu nehmen, das der andere ihm entgegenhielt. Schweigend deutete er auf den Kommandanten.
Nach kurzem Zögern übergab der Mann mit den Flügeln das kleine Heft.
Der Lieutenant Commander begann zu lesen. Er brauchte nicht lange. Als er fertig war, saß er lange unbeweglich und, wie es schien, in Gedanken verloren. Mit einer fast heftigen Bewegung gab er dann das Buch an Kenlon weiter. Dieser las:
F.: Ist dies die Erde?
A.:Ja.
F.: Ist es die Erde unserer Zukunft?
A.:Ja.
F.: Wie weit in der Zukunft?
A.: A. D. 24 999.
F.: Befinden wir uns im gleichen Ozean?
A.: Ja.
F.: Wie viele Meere gibt es jetzt auf der Erde?
A.: Drei große Kontinente. Der Rest ist Meer.
F.: Wie viele Länder?
A.: Siehe oben.
F.: Warum ist das Land so weich?
A.:Es wurde plötzlich weich. Niemand weiß warum.
F.: Vor wie langer Zeit ereignete sich diese Katastrophe?
A.: Vor 3999 Jahren.
F.: Gibt es irgendwo festes Land?
A.: Nur auf unserer Insel am Himmel.
F.: Wie ist Ihr Name?
A.: Nemmo.
*
Kenlon blickte nicht sogleich auf. Keine der Antworten war ihm neu. Er fragte sich, ob er sich verhalten sollte, als wären sie neu für ihn, oder ob er offen zugeben sollte, daß er sie im voraus gewußt hatte. Er hatte immer damit gerechnet, daß der Augenblick das Problem lösen würde. Nun war der Augenblick gekommen,
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