Im Reich des Vampirs
ihm ein erschreckender Gedanke durch den Kopf. »Nehmen Sie den Speer aus der Schatulle, Miss Lane«, blaffte er.
»Darin sehe ich keinen Sinn und ich würde es lieber nicht tun.« Ich wollte den Speer nie wieder anfassen. Er konnte dem Unseelie-Fleisch in mir gefährlich werden. Zwar wusste ich nicht, inwieweit mich das Fleisch infiziert hatte, und bis ich nicht in Erfahrung gebracht hatte, wie sehr mich die Mahlzeit verändert hatte, würde ich gewissenhaft all das meiden, was einem Feenwesen schaden konnte.
»Dann öffnen Sie das Kästchen«, stieà Barrons durch zusammengebissene Zähne hervor.
Das konnte ich tun, obwohl ich noch immer nicht wusste, wozu das gut sein sollte. Ich nahm die Schatulle, die ich mir unter den Arm geklemmt hatte, hob den Deckel an und betrachtete den Speer. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff.
Ich spürte nichts.
Gar nichts.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich seine Nähe auch in Mallucés Boudoir nicht gefühlt hatte. Ich hatte ihn gesehen.
Ich konzentrierte mich nur auf die Waffe. Nicht einmal ein sanftes Kribbeln auf der Haut warnte mich. Meine Sidhe -Seher-Sinne waren tot. Nicht nur betäubt. Nicht erschöpft. Sie waren weg.
»Was stimmt nicht mit mir?«, rief ich erschrocken.
»Sie haben Fleisch von Feen gegessen. Was könnte wohl passiert sein?«
Ich schloss die Augen. »Ein Feenwesen spürt die Feenobjekte nicht.«
»Ganz genau. Und wissen Sie, was das bedeutet? Das heiÃt, Sie können das Sinsar Dubh nicht mehr finden, Miss Lane. Verdammte Hölle.« Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte ins Haus.
»Verdammte Hölle«, echote ich. Das bedeutete auch, dass Barrons keine Verwendung mehr für mich hatte. Genauso wenig wie Vâlane. Trotz all meiner frisch gewonnenen Kräfte war ich nichts Besonderes mehr.
Es gibt immer eine Kehrseite, hatte mich Barrons gewarnt.
Dies war die schlimmste aller Möglichkeiten.
Ich hatte alles, was mich ausmachte, verloren, um ein wenig Feenenergie zu gewinnen.
Ich blieb den ganzen Sonntag im Bett und verschlief die meiste Zeit. Der Horror des vergangenen Tages hatte mich erschöpft. Und wie es schien, forderte auch die unnatürliche Blitzheilung ihren Tribut. Der menschliche Körper war nicht dafür geschaffen, innerhalb kürzester Zeit von Todesnähe zu vollkommener Gesundheit überzuwechseln. Allmählich verstand ich, was mit meinen Zellen geschehen war. Trotz meiner Erschöpfung hielt das Feenblut in mir die Nerven und eine gewisse Aggression wach â es war, als hätte ich winzige Soldaten in der Haut.
Ich döste unruhig und träumte. Es waren Alpträume. Ich befand mich an einem kalten Ort und hatte keine Möglichkeit zur Flucht. Hohe Eiswände umgaben mich. Kreaturen hatten Höhlen in die steilen Felsen über mir geschlagen und beobachteten mich von dort aus. Irgendwo in der Nähewar ein Schloss, eine mächtige Festung aus schwarzem Eis. Ich fühlte, dass es mich dorthin zog, wusste aber, dass ich nie wieder die Alte sein würde, wenn ich die verbotenen Pforten durchschritt.
Ich wachte zitternd auf, stellte mich unter die heiÃe Dusche, bis es kein warmes Wasser mehr gab. Eingewickelt in mehrere Decken, schaltete ich meinen Laptop ein und versuchte, die E-Mails von Freunden zu beantworten, aber mir fiel nichts ein, was ich ihnen schreiben könnte. Partys und Pubbesuche, Jungs, mit denen ich mich eingelassen hatte, und »er hat gesagt/ich hab gesagt« â das alles war zurzeit nicht Teil meines Lebens.
Ich schlief und träumte wieder von dem eisigen Ort. Später gönnte ich mir noch eine Dusche, um mich aufzuwärmen. Ich schaute auf die Uhr. Es war Montag, neun Uhr morgens. Auch diesen Tag konnte ich im Bett liegen bleiben und mich verstecken oder aber den Trost der Alltagsroutine auf mich wirken lassen.
Ich entschied mich für den Alltag. Manchmal ist es gefährlich, innezuhalten und nachzudenken, dann muss man einfach weitermachen.
Ich zwang mich, mich zu pflegen. Machte ein Peeling, legte eine Gesichtsmaske auf und rasierte meine Beine unter der Dusche, dabei ritzte ich mir aus Versehen die Haut am Knie auf und schmierte Zahnpaste auf die Wunde â ein Trick, den mir Alina beigebracht hatte, als ich mit dem Rasieren begonnen und mich oft an den Knöcheln geschnitten hatte. Als sich das Blut mit dem blauen Gel mischte, traten mir Tränen in die
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