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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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›Ratiocination‹.«
    »Für was?«, fragte Mike.
    »Logische Schlussfolgerung. Für Sie und Mr Wallace ist das wahrscheinlich ein alter Hut, aber als Poe seine erste so genannte ›Tale of Ratiocination‹ schrieb – Die Morde in der Rue Morgue –, gab es das Wort ›Detective‹ in der englischen Sprache noch gar nicht. Das erste hauptamtliche Polizeirevier der Welt war erst zwölf Jahre zuvor in London eingerichtet worden.«
    »Was wollte dieser Cop damals?«
    »Er meinte, er wolle sich mit mir über Poes Detektivgeschichten unterhalten. Ich nahm an, dass er in meinem Archiv recherchieren wollte. Ich hätte es im Gegenzug interessant gefunden, wenn er uns vor dem Hintergrund von Poes Erzählungen einen Vortrag über die heutige Detektivarbeit gehalten hätte. Immerhin sind Poes Erzählungen die ersten in der Literaturgeschichte, in denen einige dieser Techniken beschrieben werden – Autopsien, Diskussionen über Ballistik, verschlossene Räume.«
    »Sie sagten, dass es in der Nähe des Gartens zu eine Schießerei kam?«
    »Ja. Wirklich schrecklich. Der Polizist behauptete, das ihn einige Jugendliche direkt vor dem Haupttor überfallen hätten. Einer von ihnen entpuppte sich als ein junger Mann, der bei uns im Botanischen Garten gearbeitet hatte. Phelps, erinnern Sie sich noch an die Einzelheiten?«
    »Wie Sie schon sagten, Sir. Der Junge, der dabei ums Leben kam, war als anständiger Kerl bekannt. Er ist aus einiger Entfernung von hinten erschossen worden. Ich erinnere mich ganz gut daran.«
    »Deshalb unterziehen wir jetzt jeden, der an unserem Verein Interesse zeigt, einer sorgfältigen Prüfung. Das Letzte, was wir brauchen, sind Schlagzeilen – oder ein Skandal. Ich habe mich bei dem Polizisten daraufhin nicht wieder gemeldet. Er war ein verdammt guter Schütze, so viel steht fest.«
    »Nun denn.« Mike stand auf und reichte Zeldin die Hand. »Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Wir melden uns, wenn wir noch einmal mit Ihnen sprechen müssen.«
    »Wollen Sie sich nicht das Poe Cottage ansehen, da Sie schon einmal hier sind?«, fragte er.
    »Natürlich, gern«, antwortete ich, während Mike gleichzeitig dankend ablehnte.
    »Wir haben noch einiges zu tun, Coop«, sagte Mike. »Ein andermal.«
    Zeldin rollte in den Hauptraum. »Phelps wird Sie zu Ihrem Auto bringen. Sagen Sie mir einfach Bescheid, wann es Ihnen passen würde. Das Cottage ist fünf Tage die Woche geöffnet. Andernfalls rufe ich einfach Mr Guidis Büro an, und man wird eine Privatführung für Sie arrangieren.«
    Mike war ebenso erstaunt wie ich. »Guidi? Gino Guidi?«
    »Sie kennen ihn?«
    »Dem Namen nach«, sagte Mike. »Investmentbanker – der Guidi?«
    »Ein Bronxjunge, der es zu etwas gebracht hat, Mr Chapman. Das ist unser Gino Guidi.«

 

30
     
    »Ich habe seinen Namen nicht auf der Liste gesehen«, sagte Mike und faltete die Kopie der Mitgliederliste wieder auseinander.
    »Den werden Sie dort auch nicht finden«, sagte Zeldin. »Sie kennen ihn wahrscheinlich aus dem Wirtschaftsteil der Zeitung. Er hat ein Vermögen an der Wall Street gemacht, aber zu unserem Glück ist er Vorsitzender des Geschichtsvereins der Bronx. Dem Verein obliegt die Verwaltung des Cottage.«
    »Ist er auch Poe-Fan?«
    »Nicht dass ich wüsste, Detective. Ich habe ihn auf ein paar Fundraising-Veranstaltungen hier im Gewächshaus getroffen, aber wir haben uns nie über Literatur unterhalten.«
    Mike blinzelte mir zu. »Wenn ich es mir recht überlege, können wir uns die Hütte gern ansehen. Auf die halbe Stunde kommt es auch nicht mehr an.«
    Poes Zuhause allein hatte ihn nicht gereizt, die Verbindung zu Guidi schon.
    »Trinken Sie doch vorher noch einen Kaffee in unserer Cafeteria. Ihr Auto steht nicht weit davon. Das Cottage ist wochentags erst ab ein Uhr für den Publikumsverkehr geöffnet. Ich werde veranlassen, dass man Ihnen schon früher jemanden schickt, der es Ihnen zeigen kann. Das Cottage ist winzig, Mr Chapman – sogar wenn Sie sich Zeit lassen, brauchen Sie wahrscheinlich nicht länger als fünf Minuten.«
    Phelps ließ uns vor dem Café des Botanischen Gartens aussteigen, und wir unterhielten uns bei einer Tasse Kaffee darüber, was die nächsten Tage zu tun sei. Fünfzig Minuten später rief mich Zeldin auf dem Handy an, um uns mitzuteilen, dass wir erwartet wurden.
    Um halb zwölf verließen wir den Botanischen Garten und fuhren zur Kreuzung Grand Concourse und Kingsbridge Road. Wo im achtzehnten Jahrhundert Farmen und zu Beginn

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