Im Schatten der Akazie
das Buch mit den Beschwörungen gefunden, die das schlechte Wetter über Hatti vertreiben werden. Es sind die Boten der Göttin Sachmet, die hoch über uns übelriechende Ausdünstungen verbreiten und die Sonne daran hindern, durch die Wolken zu brechen.«
»Und was sollen wir tun?«
»Ohne Unterlaß und so lange wie nötig die Sprüche und Gesänge ertönen lassen, die Sachmet besänftigen. Wenn die Göttin ihre in die Ostländer entsandten Boten zurückruft, wird sich der Himmel aufklaren. Die Priester und die Priesterinnen der Sachmet sind bereits am Werk. Dank der Schwingungen, die ihre Gesänge auslösen, und dank der unsichtbaren Wirkung der Riten dürfen wir auf ein baldiges Ergebnis hoffen.«
Kha zog sich in dem Augenblick zurück, in dem Merenptah herbeieilte. Die beiden Brüder beglückwünschten einander.
Ramses beobachtete seine Söhne, die so verschieden waren, einander aber so gut ergänzten. Weder der eine noch der andere enttäuschte ihn. Hatte Kha nicht soeben auf seine Art wie ein Staatsmann gehandelt? Er verfügte über den erhabenen Geist, dessen es zum Herrschen bedurfte, indes Merenptah die zum Befehlen erforderliche Stärke besaß. Und seine Tochter, Merit-Amun, war wieder nach Theben zurückgekehrt, wo sie die Rituale leitete, mit denen die königlichen Statuen in Sethos’
Heiligtum und in Ramses’ Tempel der Millionen Jahre zum Leben erweckt wurden.
213
Der Pharao dankte den Göttern, daß sie ihm drei so außergewöhnliche Kinder beschert hatten, von denen jedes auf seine Art den Geist der ägyptischen Kultur weitergab und sich mehr deren Werten widmete als der eigenen Person. Nefertari und Iset die Schöne konnten in Frieden ruhen.
Merenptah verneigte sich vor dem Pharao.
»Du hast mich rufen lassen, Majestät.«
»Die Tochter Hattuschilis und Puduchebas steht im Begriff, die hethitische Hauptstadt zu verlassen, um nach Pi-Ramses zu kommen. Aus Gründen des besseren Einvernehmens zwischen unseren Völkern wird sie Große königliche Gemahlin. Diese Verbindung soll den Frieden zwischen Hatti und Ägypten endgültig besiegeln, was einigen jedoch mißfallen könnte.
Deshalb betraue ich dich mit der Aufgabe, über die Sicherheit der Prinzessin zu wachen, sobald sie die unter hethitischem Einfluß stehenden Regionen verläßt und unsere Schutzgebiete betritt.«
»Seine Majestät möge auf mich zählen. Über wie viele Männer kann ich verfügen?«
»Über so viele, wie vonnöten sein werden.«
»Ein ganzes Regiment wäre nutzlos, weil es sich zu langsam und schwerfällig bewegt. Ich werde eine Hundertschaft kampferprobter Soldaten versammeln, Kenner dieser Landstriche und gut ausgerüstet, sowie mehrere Sendboten mit besten Pferden.
Im Falle eines Angriffs werden wir uns zu widersetzen wissen. Ich werde dich in regelmäßigen Abständen über den Verlauf der Reise unterrichten, Majestät. Sollte ein Bote ausbleiben, wird mir die nächst gelegene Festung unverzüglich Verstärkung schicken.«
»Deine Mission ist von höchster Wichtigkeit, Merenptah.«
»Ich werde dich nicht enttäuschen, Vater.«
214
Seit dem frühen Morgen gingen heftige Regenschauer über Hattuscha nieder und drohten die Unterstadt zu überfluten. Als allmählich Verzweiflung um sich griff, tat Königin Puducheba der Bevölkerung kund, daß nicht nur hethitische Priester ohne Unterlaß den Wettergott um Erbarmen anflehten, sondern auch die Magier Ägyptens um Hilfe gebeten worden waren.
Puduchebas Worte weckten neue Zuversicht. Einige Stunden später hörte der Regen auf. Es standen zwar noch schwere, dunkle Wolken am Himmel, aber im Süden zeigte sich ein erster heller Fleck. Die Abreise der Prinzessin konnte ins Auge gefaßt werden. Da begab sich die Königin in die Gemächer ihrer Tochter.
Mit fünfundzwanzig Jahren, blondem Haar und dunklen, mandelförmigen Augen, einer edlen, beinahe spitzen Nase und ihrem wie Perlmutt schimmernden Teint besaß die junge Frau die wilde Schönheit der Hethiterinnen. Von eher hohem Wuchs, mit schmalen Handgelenken und Fesseln sowie einer Kopfhaltung, die ihrer hohen Geburt würdig war, verkörperte die Prinzessin den Inbegriff der Sinnlichkeit, denn in jeder kleinsten Bewegung lag ein verräterischer Hauch der Sehnsucht einer Frau, die bereit war, sich hinzugeben, und sich im nächsten Augenblick wieder zu entziehen suchte. In ganz Hatti gab es keinen einzigen Würdenträger, der nicht davon geträumt hätte, sie zur Frau zu haben.
»Das Wetter wird besser«,
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