Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
Unschuldigen helfen?«
»Der Rüth mahlt nur unser Korn. Mehr haben wir mit der Familie nicht zu tun.«
»Seid Ihr denn kein Christ? Wir sind zur Nächstenliebe verpflichtet.«
Endlich richtete sich Isabes Schwiegervater auf und drehte sich zu Nikolaus um. »Ihr seid wohl noch zu jung, um das zu verstehen. Wir wollen keine Probleme bekommen. Wer sich mit den Herren anlegt, ist nur allzu bald in Schwierigkeiten. Wir sind bloß arme Bauern und wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden.«
»Sollten wir uns dann nicht gegenseitig helfen?«
Nikolaus beobachtete den Mann ganz genau. Als dieser nicht reagierte, versprach er: »Ich werde keinem verraten, von wem ich das habe, was Isabe mir sagen kann. Das schwöre ich.«
Der alte Mann blickte einen Moment zu Boden und stieß mit dem Fuß ein paar Holzscheite auf den Haufen, den er noch aufstapeln wollte.
»Isabe!«, rief er plötzlich. »Isabe!«
Sofort kam eine junge Frau von knapp zwanzig Jahren aus der Tür. Sie war kräftig gebaut mit einem vollen Gesicht und fleischigen Armen. Sie war schätzungsweise im achten oder neunten Monat schwanger, aber ihre rundliche Figur war nur teilweise auf ihre Schwangerschaft zurückzuführen. Ihr vor Schmutz starrendes Kleid spannte sich gefährlich über ihrem Bauch. In behäbigen Schritten näherte sie sich ihrem Schwiegervater. Ihre bloßen Füße sahen aus, als wäre die junge Frau gerade durch eine Schlammsuhle gelaufen.
»Was is´ denn?«, fragte sie mit leiser Stimme.
»Der da«, dabei deutete er mit einer Kopfbewegung auf Nikolaus, »will was über die Christina wissen.«
Isabe zuckte zusammen und blickte sich hilfesuchend um, aber ihr Schwiegervater verschwand gerade im Haus.
Nikolaus versuchte, sie zu beruhigen. »Keine Angst. Ich will nur Christina helfen. Wie man mir sagte, seid Ihr ihre Freundin.«
Die junge Frau entspannte sich etwas. Mit zitternden Fingern stopfte sie sich ihre schmierigen, dunklen Haare unter ihre fleckige Leinenhaube. Um Nikolaus´ Mundwinkel zuckte es verdächtig. Er musste sich beherrschen, um nicht im unpassendsten Augenblick zu grinsen. Diese ungepflegte, pummelige Frau war das genaue Gegenteil von Christina. Ein Zerrbild im Vergleich zu der sauberen und wohlgestalteten Müllerstochter.
»Ihr kennt Christina gut?«, begann der junge Gelehrte.
»Mmh … eigentlich schon. Ich meine … äh … nur bis ich geheiratet habe. Seitdem hab ich sie kaum noch gesehen.«
»Wie ist sie denn so?«
»Manchmal is´ sie schon eigenartig. Sie regt sich halt leicht auf und ist dann beleidigt. Ich denk aber, das is´ wegen ihrer verstorbenen Mutter. Christina ist auch sehr schlau. Sie kann sogar lesen und rechnen und verwaltet für ihren Vater das Geld. Sie führt die Listen und weiß ganz genau, wer wie viel Korn mahlen lässt. Sie sagte, wenn der Herr Dietrich die Listen kennen würde, müssten einige Leute bestimmt mehr Pacht und Steuern zahlen.«
Nikolaus war erstaunt. »Das hat sie Euch erzählt?«
»Äh … ja.« Verlegen trat sie hin und her und knetete ihre Hände vor ihrem runden Bauch. »Hätte ich das nicht sagen dürfen?«
Er beruhigte Isabe. »Nein, nein, das ist schon in Ordnung. Sagte Christina denn auch, wer besonders gut wegkam?«
»Oh ja, ja! Vor allem der Großbauer Roden. Der hat Christina sogar Schweigegeld gegeben, damit sie nichts verrät. Aber er hasst sie trotzdem, weil er ihr dennoch nicht traut.«
Nikolaus zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Da war also jemand, der Christina hasste. Jemand, der einen plausiblen Grund hatte, sie aus dem Weg zu räumen. Aber wieso sollte er deswegen Wilhelm umbringen? Auf jeden Fall durfte er diesen Großbauer Roden nicht aus den Augen verlieren.
»Wo hat Eure Freundin denn Lesen und Rechnen gelernt?«, fragte der junge Doktor weiter.
»Von ihrer Mutter.«
»Aha. Und woher hatte die das?«
Isabe zuckte nur mit den Schultern.
»Hat Christina nichts erzählt?«
»Nö. Sie hat nie was über ihre Mutter erzählen wollen.«
»Wurde sie ärgerlich, wenn Ihr gefragt habt?«
»Äh … eigentlich nicht. Sie war eher traurig und hat dann gar nichts mehr gesagt.«
»Wann starb die Mutter?«
»Das war … also … äh … das muss schon ein paar Jahre her sein. So genau kann ich das gar nich´ sagen. Soll ich mal meinen Schwiegervater fragen?« Sie drehte sich zur Seite, um loszueilen.
»Ist schon gut. Das ist nicht so wichtig.«
Eigenartig. Die Mutter war also gebildet gewesen – ungewöhnlich für solch arme Leute wie die hier im Tal.
Weitere Kostenlose Bücher