Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
marschierte er an dem sich drehenden Mahlwerk vorbei und durch die Tür in die angrenzende Stube. Doch statt des erhofften Müllers stand ein maskierter Mann mitten im Raum. Beide Eindringlinge waren gleichermaßen erschrocken und blieben wie angewurzelt stehen. Jetzt erkannte Nikolaus den breitkrempigen Hut des Mannes. Dort stand derjenige, der gestern noch Reginus Rüth etwas hatte geben wollen. Und er hatte Dokumente vor sich auf dem Tisch ausgebreitet.
Langsam löste sich Nikolaus´ Erstarrung. »Wer seid Ihr?«, rief er.
Doch der andere antwortete nicht. Stattdessen sammelte er die Blätter ein und hielt sie fest umklammert.
»Was habt Ihr da in der Hand? Das gehört doch bestimmt nicht Euch.«
Plötzlich stürmte der Fremde los, um zur rettenden Tür zu gelangen. Nikolaus wusste nicht, was er machen sollte. Er war noch nie ein Freund von Kampf und Gewalt gewesen. Selbst als Kind hatte er sich immer aus den Prügeleien der anderen herausgehalten. Auch jetzt scheute er die körperliche Konfrontation. Aber der Halunke, der nun auf ihn zukam, hatte etwas dabei, was ihm nicht gehörte. Also warf er sich dem Angreifer entgegen.
Beim Aufprall stöhnten die Kontrahenten auf. Nikolaus hatte die Wucht des Angriffs unterschätzt, flog zur Seite und knallte schmerzhaft auf den Bretterboden. Doch auch der andere war ins Straucheln gekommen, sodass sein Hut davonsegelte und sich die Papiere auf dem Boden verteilten. Schnell wollte er die Dokumente wieder zusammenraffen und gab dem jungen Mann so die Möglichkeit, aufzustehen und sich auf ihn zu werfen.
Die beiden rangen geraume Zeit miteinander, ohne dass einer die Oberhand gewann. Sie ächzten und stöhnten, während sie jeweils versuchten, eine Hand freizubekommen. Der Maskierte hatte es auf die Kehle seines Gegners abgesehen, während Nikolaus ihm das Tuch vom Gesicht reißen wollte. Aber schnell ließen die Kräfte des Gelehrten nach. Seine erprobten Waffen waren Bücher und Kodizes, seine Angriffe führte er mit Tinte und Pergament.
Der Mann bemerkte die Schwäche seines Gegners und nutzte sie gnadenlos aus. Plötzlich stieß er sein Knie Nikolaus in den Unterleib. Mit einem Stöhnen brach Nikolaus zusammen und fiel zur Seite. Tatenlos musste er zusehen, wie die Schriftstücke aufgesammelt wurden. Die Schmerzen raubten ihm den Verstand, lähmten ihn fast vollständig. Nur mit Mühe gelang es ihm, auf die Knie zu kommen und sich dann schwerfällig aufzurichten.
Inzwischen hatte der Maskierte die Dokumente wieder beisammen und wollte hinauslaufen. Mit einer letzten Anstrengung schleuderte Nikolaus ihm einen Stuhl in den Weg. Der Fremde stolperte über das plötzliche Hindernis und fiel mit einem heiseren Aufschrei hin. Abermals machten sich die Papiere selbstständig. Doch ehe Nikolaus ihn erreichen und festhalten konnte, hatte er sich wieder erhoben. Mit einer Hand massierte er sein linkes Knie. Diesmal ließ er die Listen liegen und humpelte leise vor sich hinfluchend hinaus.
Besiegt und gedemütigt blieb der junge Mann zurück. Er rieb sich den gepeinigten Unterleib und verwünschte den Augenblick, als er sich entschlossen hatte, Christina zu helfen. Bis jetzt hatte es ihm nur Qualen eingebracht – seelische und körperliche. Und der Erfolg seiner Hilfeleistungen ließ noch immer auf sich warten.
»Was bin ich doch für ein Trottel!«, schimpfte er. »Warum habe ich mich bloß darauf eingelassen?«
Er schlich zu dem Stuhl hinüber, den er als Wurfgeschoss benutzt hatte, stellte ihn wieder auf die Füße und setzte sich vorsichtig hin. Es dauerte eine geraume Zeit, bevor er wieder normal atmen und denken konnte.
Wer versteckte sich hinter der Vermummung? Es musste der gleiche Kerl gewesen sein, der gestern mit dem Müller gesprochen hatte. Er hatte Geld für etwas Bestimmtes geboten. Für die Schriften, die dort drüben auf dem Boden lagen? Er hatte sie nicht für Geld bekommen und deshalb versucht, sie zu stehlen. Was machte die Dokumente so wertvoll?
Schnaufend stand Nikolaus auf und schleppte sich hinüber. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ging er auf die Knie und sammelte die Blätter ein. Es handelte sich um endlose Listen mit Namen und Zahlen. Das musste er sich einmal in Ruhe ansehen. Nachdem er alles aufgehoben hatte, griff er nach dem auffälligen Hut, den der Eindringling vergessen hatte. Daran sollte der Kerl doch ohne Probleme erkannt werden. Ob der sich jetzt wohl über sein Versäumnis ärgerte? Endlich konnte Nikolaus wieder lächeln. Er war
Weitere Kostenlose Bücher