Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
vorbeifließenden Fluss und das sowieso düstere und stets klamme Tal hatten ihr Übriges getan. Die Bretter der Kiste waren morsch geworden und durch Nikolaus´ Tritt gebrochen.
Er öffnete die Kiste, um sich den Schaden genauer anzuschauen. Der Stapel mit Christinas Leinenhemden war umgefallen. Er versuchte, sie so vorsichtig wie möglich wieder aufzuschichten, damit niemand merkte, dass er ihre Unterwäsche in den Händen gehabt hatte. Es war ihm peinlich, in ihren persönlichsten Sachen herumzufummeln.
»Was ist das denn?«
Unter dem Wäschestapel wurde ein flacher Kasten sichtbar. Nikolaus hatte ihn vorhin nicht bemerkt, weil er sich nicht getraut hatte, die Kiste gründlicher zu durchsuchen. Vorsichtig holte er die Schatulle hervor und schichtete dann die Hemden wieder ordentlich an ihre alte Stelle.
Mit gespannter Erwartung öffnete er den Kasten. Ein dicker Stapel Pergamente mit einer Unmenge von Einträgen und Zahlen kam zum Vorschein. Endlich hatte er die Listen gefunden! Endlich hatte er wieder die Möglichkeit, nach neuen Hinweisen zu suchen, anstatt untätig herumzusitzen und auf seine Festnahme zu warten.
Zufrieden stieg er wieder ins untere Stockwerk, schenkte sich Wein aus dem Vorrat des Müllers ein und begann, die Dokumente eingehend zu studieren. Doch der gute Tropfen und das Nachforschen konnten seine Erinnerung an den schrecklichen vierten Tag nur teilweise verdrängen.
Kalle Kleinz
Die Nacht war für Nikolaus alles andere als erholsam gewesen. Er hatte sich stundenlang hin und her gewälzt und verzweifelt nach Ruhe gesucht. Aber immer wenn er versucht hatte, an etwas Schönes zu denken – an seine Freunde in Padua, an die herrlich anregenden Gespräche dort über Architektur und Geometrie –, kamen ihm sofort wieder die grässlichen Beschuldigungen des vergangenen Tages in den Sinn.
Am Morgen war er entsprechend unausgeschlafen und übel gelaunt. Selbst das herzliche Guten Morgen des Wirtes und sein Schwärmen über das herrliche, sonnige Wetter konnten ihn nicht aufheitern. Nikolaus lächelte höflich, soweit er das überhaupt schaffte, und stocherte lustlos im Brei herum. Die Wirtin hatte sich sicherlich sehr viel Mühe gegeben, ihn schmackhaft zu machen, aber Nikolaus´ Kehle war wie zugeschnürt, und sein Magen war mit einem schweren Stein schon komplett ausgefüllt. Nach zwei Löffeln war er bereits satt und schob den Teller zur Seite.
»Ist der Brei angebrannt oder zu fad? Dann entschuldigt bitte. Ich hole Euch schnell einen neuen.« Kalle Kleinz hatte den Teller schon in der Hand.
»Nein, nein!«, versicherte Nikolaus. »Eure Frau hat ihn hervorragend gemacht. Ich habe nur keinen Hunger.«
»Seid Ihr krank?«, fragte der Wirt voller Mitleid.
»Auch nicht. Ich komme einfach nicht voran.«
Kleinz nickte. Sein Gesichtsausdruck war plötzlich ernst geworden. »Ihr sucht noch immer nach dem Mörder, um Rüths Tochter zu entlasten. Nicht wahr?«
Nikolaus bejahte.
»Aber bisher habt Ihr Euch nur eine Menge Ärger eingefangen.«
Nikolaus hob die Augenbrauen, sagte aber nichts.
»So was spricht sich schnell rum.«
»Das habe ich eigentlich nicht anders erwartet.«
»Ihr dürft nicht vergessen, Ihr seid ein Fremder hier. So einen behalten die Leute natürlich mehr im Blick als den lieben Nachbarn, mit dem man schon seit Jahren zusammenhockt. Glaubt mir, ich habe ein paar Jahre gebraucht, bis die Leute hier mich akzeptiert hatten. Und manchmal merke ich deutlich, dass ich noch immer der Zugereiste bin. Da könnt Ihr nicht hoffen, dass es bei Euch anders ist.«
Nikolaus musste dem voll und ganz zustimmen. Wunder konnte er hier keinesfalls erwarten.
»Seid bitte vorsichtig«, bat ihn der Wirt eindringlich. »Ich hatte wirklich gehofft, dass dem armen Mädchen geholfen werden könnte. So ein hübsches Ding, das von so vielen verachtet und angegiftet wurde, hat etwas Besseres verdient. Aber – nur einmal rein theoretisch angenommen – könnte es nicht sein, dass der Grund, warum Ihr nichts findet, darin liegt, dass es keine Beweise für ihre Unschuld gibt? Bitte, versteht es nur einmal als Vermutung.«
»Daran hatte ich auch schon gedacht. Aber nur kurz. Denn ich schlussfolgere von der anderen Seite aus. Es gibt einige handfeste Beweise, dass Christina es nicht gewesen sein kann. Das schlagendste Argument ist der Tod von Wolfgang Hecken. Das Schwert, mit dem er an den Baumstamm geheftet wurde, gehörte Wilhelm. Also muss es ein und derselbe Mörder gewesen sein. Und beim
Weitere Kostenlose Bücher