Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
zweiten Mord saß Christina ja schon im Kerker.«
Kalle Kleinz dachte einen Moment nach. »Das stimmt. Aber vielleicht hat sie einen Komplizen, der Wolfgang umbrachte, um sie zu entlasten.«
Nikolaus nickte. »Ich muss leider zugeben, dass hier mein Latein endet. Ich weiß es nicht. Aber falls er wirklich existiert, bleibt die Frage: Wer ist dieser Komplize?«
Der Wirt lächelte kurz. »Einige denken, Ihr wärt dies.«
»Das habe ich auch schon gemerkt. Aber ich hörte auch, dass Christina einen Bräutigam haben soll. Stimmt das?«
»In kleinen Orten wie hier sprechen sich solche Dinge normalerweise schnell herum. Aber davon habe ich bisher nichts gehört.«
Hatte Isabe etwas falsch verstanden? Sie machte jedenfalls nicht den Eindruck, dass sie sich einfach etwas ausdachte, um sich wichtig zu machen. Oder hatte Christina sie belogen?
»Sprecht doch mit Rüth selbst«, schlug der Wirt vor. »Der muss es bestimmt wissen.«
Eigentlich hatte er den Gedanken schon gestern verworfen. Besonders seit der Müller ihn in der verfänglichen Situation mit den Listen erwischt hatte, gab es kaum noch Hoffnung, vernünftig miteinander reden zu können.
Kleinz verstand. »Versucht es doch. Mehr als Nein sagen kann er nicht.«
Nikolaus bedankte sich für den Zuspruch und erklärte, dass er einen letzten Versuch starten würde, um Rüths Unterstützung zu bekommen. Andernfalls würde er noch vor Mittag weiterreisen. Unter diesen Umständen gab es keine Hoffnung mehr, Christina aus ihrem Kerker zu befreien. Kalle Kleinz lächelte wieder vergnügt und wünschte viel Glück.
»Das kann ich gebrauchen«, antwortete Nikolaus und machte sich auf den Weg ins Tal.
Die alte Hiltrud
In der Kehre der Straße kam Nikolaus eine alte Frau entgegen. Sie ging sehr langsam und gebückt, sie trug einen kleinen, leeren Weidenkorb. Erst als sie fast an Nikolaus vorbei war, erkannte er sie. Er hatte sie im Palas gesehen, nachdem Christina abgeführt worden war.
»Bitte entschuldigt, werte Frau.«
Die Alte blieb erstaunt stehen und richtete sich auf. Sie blinzelte ein wenig. Wahrscheinlich ließ ihr Augenlicht nach.
»Was kann ich für Euch tun, junger Herr?« Ihre Stimme klang rau, fast krächzend.
»Wir haben uns vorgestern auf der Burg gesehen. Erinnert Ihr Euch? Als die Müllerstochter abgeführt wurde.«
Sie nickte langsam. »Ja, da war ich. Viel habe ich nicht mitbekommen, denn die jungen Leute reden heutzutage alle so leise. Ich weiß auch nicht, woher die ihre guten Ohren haben. Wenn Ihr was wissen wollt, müsst Ihr schon andere fragen.«
»Schon gut, liebe Frau. Ich war ja da.«
»Was?« Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse und hielt die rechte Hand wie eine Hörmuschel ans Ohr.
Nikolaus wiederholte es lauter.
»Was fragt Ihr dann?«
»Als Christina hinausgeführt wurde, sagtet Ihr, der heimliche Engel sei wieder da. Woher kennt Ihr sie?«
Ihre Gesichtzüge entspannten sich wieder, und ihr Mund öffnete sich zu einem breiten, zahnlosen Lächeln. »Die hab ich schon vor vielen, vielen Jahren gesehen.«
»Aber sie ist doch erst siebzehn.«
Ihre Verblüffung war unübersehbar. »Nein. Ich habe sie schon früher gesehen. Aber immer nur ganz heimlich. Ich habe ihr das Essen bringen müssen. Oh, was war sie doch für ein liebes Ding. Und jedes Mal hatte sie ein nettes Wort für mich übrig. Aber sie war sehr traurig, sehr, sehr traurig. Sie hat nie viel erzählt. Jetzt darf ich ihr nichts bringen. Jetzt macht das die Margareta. Schade. Seit ich bei meinem Sohn in Laufeld wohne, komme ich kaum noch zur Burg.«
»Wer war sie denn?«
»Wer?«
»Die Gefangene auf der Burg.«
»Leise!«, zischte sie. »Das darf doch keiner wissen.«
»Kennt Ihr ihren Namen?«
»Sie war ein Engel. Sie hatte so schöne glänzende Haare. Und aus ihrem Mund kamen nur nette Worte. Aber sie hat viel geweint. Und ich durfte nichts davon erzählen, auch meinem Mann nicht. Ach, der ist jetzt auch schon fast fünfzehn Jahre tot. Der Arme wurde mitten im Winter von einem herunterfallenden Ast erschlagen. Und bei dem Frost, den wir da hatten, haben die Nachbarn fast einen ganzen Tag gebraucht, um das Grab auszuheben. Mit Spitzhacken und Eisen mussten sie den gefrorenen Boden losschlagen. Könnt Ihr Euch das vorstellen, junger Herr?«
Nikolaus wusste, wie eigenartig die Leute im Alter werden konnten. Einige wurden vergesslich, andere erzählten nur noch Geschichten aus ihrer Jugend – und zwar immer wieder die gleichen. Bei einigen musste man
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