Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
Ewigkeit warten!
Nikolaus bemerkte das Pferdegespann, das eben in den Burghof einfuhr, gefolgt von zahlreichen Menschen. Schreie und Klagelaute ertönten aus der Menge. Die Soldaten versuchten verzweifelt, die Menschen draußen zu halten, aber es gelang ihnen nur bedingt. Nikolaus konnte jetzt auch den Wagenlenker erkennen. Es war der Großbauer Roden.
Neugierig kam der junge Gelehrte näher, um den Grund für diesen Aufruhr zu erfahren. Auf der Ladefläche lag jemand. Es war Hans Hecken – er war tot. Seine Zunge hing ihm aus dem Mund, seine Lippen waren blau verfärbt. Er musste erstickt sein; um seinen Hals hingen noch die Reste eines Tuchs. Roden berichtete, dass er den Toten an der Straße zwischen Wallscheid und Pantenburg gefunden hatte.
Nikolaus bemerkte, dass der Wagen voller Gesteinsstaub und bräunlicher Geröllreste war. Dies war also offensichtlich das Fuhrwerk, mit dem nachts die heimlichen Transporte durchgeführt wurden. Gestern hätte er noch liebend gerne nach Blutspuren gesucht. Gestern – das schien Jahre entfernt. Da war er sich fast sicher gewesen, dass Thies und Roden Wilhelm auf dem Gewissen und die Leiche mit dem Wagen fortgeschafft hatten. Aber das war nun völlig überholt. Schließlich hatte er die wahren Mörder heute überführen können. Und um den Erzschmuggel würde er sich erst nach Rücksprache mit dem Kurfürsten kümmern.
Dennoch konnte er seine Neugier nicht zügeln. Er strich über die Bodenbretter des Wagens, um Staub und Dreck vorsichtig zur Seite zu schieben, auf der Suche nach möglichen Spuren. Dort, wo die Leiche lag, war ein dunkler Fleck: Blut. Hans aber wies keinerlei Wunden auf. Woher stammte es also? Nikolaus schüttelte unwillig den Kopf. Das hatte nichts zu bedeuten, bestimmt hatte sich ein Knecht beim Beladen oder Abladen der Felsbrocken verletzt! Für Nikolaus war der Fall geklärt! Er hatte keine Lust mehr, noch einmal den ungebetenen Schnüffler zu spielen. Sein Auftritt war vorüber, und spätestens morgen wäre er endlich in Himmerod.
Jetzt kam auch der Hauptmann den Berg herab. Nikolaus zog sich still und heimlich zurück, in Richtung Burgtor. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ihn dieser Todesfall irgendwie interessierte.
Roden erklärte Konrad Seidel, was vorgefallen war, und überließ dann dem Hauptmann den Schauplatz. Der schaute sich in Ruhe den Leichnam an.
»Habt Ihr ihn so mit dem Tuch gefunden?«, fragte er den Großbauern.
»Genau so. Ich habe meine Knechte beim Aufladen angewiesen, das Tuch nicht anzurühren.«
»Gut. Für mich besteht kein Zweifel, dass man Hans Hecken damit erdrosselt hat.«
Eine Wache rief plötzlich in die Runde: »Vielleicht waren das die Gefangenen. Die haben das in der Nacht oder heute Morgen auch noch schnell erledigt.«
Das war auch Nikolaus´ Überlegung gewesen. Aber den Nachweis sollten jetzt andere führen.
»Aber warum?«, fragte Seidel.
»Aus dem gleichen Grund, weswegen sie auch den Wolfgang ermordet haben. Aus Rache! Die beiden und der Wilhelm hockten doch andauernd aufeinander.«
Der Hauptmann nickte nur. Er begann nun, das Tuch vom Hals des Toten abzunehmen. Es war ein helles Leinentuch, das zusammengerollt war. Als er es ausbreitete, wurde eine großflächige Stickerei sichtbar. Seidel betrachtete das Tuch ganz genau, drehte es mehrfach hin und her, konnte aber wohl nicht viel damit anfangen. Deshalb hielt er es in die Luft und zeigte es den Anwesenden.
»Kennt einer dieses Tuch? So etwas müsste doch einem von Euch aufgefallen sein.«
Nikolaus schwindelte, er musste sich an der Mauer abstützen. Mit zitternden Händen griff er sich an den Hals, er konnte kaum noch atmen. Er musste sich zusammenreißen, er durfte jetzt nicht ohnmächtig werden. Das konnte nur ein böser Traum sein, eine Halluzination, eine Wahnvorstellung. Alles verschwamm vor seinen Augen. Er zwinkerte ein paarmal, um wieder klar sehen zu können. Doch das Tuch, das der Hauptmann noch immer hochhielt, war das gleiche geblieben. Es zeigte einen Krebs. Das Wappentier seiner Familie.
Nikolaus kannte dieses Stück Leinen sehr gut. Seine Mutter hatte es ihm angefertigt. Wenn er auf Reisen ging, wickelte sie ihm darin immer Brot und kleine Küchlein ein. Wie kam sein Tuch um den Hals des Toten? Es sollte eigentlich in seinem Reisebeutel sein, der oben im Gasthaus bei Kalle Kleinz lag. Er hatte in den letzten Tagen nicht in seinen Beutel geschaut, wozu auch? Deswegen konnte er nicht sagen, ob das Tuch da gewesen war oder
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