Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
nicht. Jemand musste es ihm gestohlen haben!
Jetzt galt es zu handeln. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man auf den Gedanken kam, dass der Fremde, der sich Nikolaus Krebs nannte, der Besitzer des Tuchs sein könnte. Bis dahin musste er schon einen ausreichenden Vorsprung haben, musste längst über alle Berge sein.
Rasch schlich er sich durchs Burgtor. Hoffentlich bemerkte ihn niemand. Voller Panik erwartete er jeden Augenblick, dass sein Name gerufen wurde, dass man ihm befahl, sofort stehen zu bleiben. Er eilte los, im schnellen Schritt. Als er die Brücke über die Lieser erreicht hatte, rannte er. Er musste den Berg hoch nach Obermanderscheid. Er musste wissen, ob das Tuch seins war oder nicht.
Als Nikolaus völlig außer Atem den oberen Rand des Tals fast erreicht hatte, hörte er unter sich ein Geschrei. Sofort duckte er sich hinter einen Busch und blickte vorsichtig hinunter. Einige Wachen verließen die Burg und liefen in seine Richtung. Hatte man schon entdeckt, dass das verräterische Tuch ihm gehörte? Er rannte weiter. Er konnte nur hoffen, dass die Reiter noch einen Moment brauchten, bevor sie ihre Pferde gesattelt hatten. Außerdem lag Obermanderscheid auf Trierer Gebiet. Wenn der Amtmann mitbekam, dass Luxemburger Soldaten in sein Territorium einzudringen versuchten, würde er sich ihnen entgegenstellen. Das verschaffte Nikolaus nochmals wertvolle Zeit.
Am Ende seiner Kraft und vor Schweiß triefend erreichte er den Marktplatz. Er flitzte zum Wirtshaus hinüber. Leise betrat er die Schankstube. Zum Glück waren weder Gäste noch die Wirtsleute anwesend. Rasch stieg er die Treppe empor und betrat unbemerkt seine Kammer. In der Ecke lag sein Reisebeutel. Um keine unnötige Zeit zu verlieren, schüttete er ihn einfach aus. All seine Sachen polterten zu Boden: der Kasten mit den Schreibutensilien, sein Büchlein, in dem er seine Reisen dokumentierte, Kleidungsstücke zum Wechseln und einiges mehr. Panisch durchwühlte er den Haufen, aber das Tuch seiner Mutter war nicht dabei. Damit war es klar: Bei der Mordwaffe handelte es sich um sein Tuch. Und natürlich dachten jetzt alle, dass er der Mörder war.
Kaum hatte er zwei Morde aufgeklärt, da versuchte jemand, ihm einen dritten anzuhängen. Eine schnelle Art, Rache zu nehmen. Wer hier gehörte noch zu den Familien Dunkel und Berger? Wer hatte so schnell seine Sachen durchwühlen, das Tuch nehmen und Hans umbringen können? Wer wusste überhaupt, dass er hier übernachtete? Und wer hatte den entsprechenden Mut und genügend Kaltschnäuzigkeit, am helllichten Tag die Kammer zu durchwühlen?
Hastig stopfte er seine Habseligkeiten wieder in den Beutel. Doch dann wurden seine Bewegungen langsamer. Irgendetwas war faul an der Sache. Heute Morgen waren die beiden Ehepaare verhaftet worden. Und wann war Hans getötet worden? Die Totenstarre zu überprüfen, war Nikolaus gar nicht in den Sinn gekommen. Aber zwischen den beiden Ereignissen war einfach zu wenig Zeit, um hier in Obermanderscheid das Tuch zu holen und Hans zu töten.
Missmutig schüttelte er den Kopf und packte weiter. Noch ein letzter Blick, ob er nichts vergessen hatte, und schon hastete er los. Er war so im Schwung, dass er mit dem Schienbein gegen das Bett stieß. Vor Schmerz stöhnte er auf.
»Du blöder Hammel!«, schimpfte er mit sich selbst. »Kannst du denn nicht aufpassen?«
Wütend humpelte er zur Tür und hielt dann inne. Ruckartig drehte er sich und ging langsam zurück. Wieso war er über das Bett gestolpert? Er hatte es beim Einzug doch extra ein Stück zur Seite geschoben, damit mehr Platz war und er besser aus dem Fenster gucken konnte. Jetzt ragte es weiter in den Raum hinein. Er legte seinen Beutel zur Seite und schaute in den Freiraum zwischen Bett und Wand. Dort lag ein Stoffbündel. Er holte es hervor und breitete es aus. Dabei fiel etwas klirrend zu Boden. Nikolaus hob es vorsichtig auf. Es war ein goldener Ring. Nun schaute er sich das Bündel genauer an. Es bestand aus zwei Kleidungsstücken: einem Umhang mit einem Pelzkragen und einem schwarzen Kleid, an dessen Saum ein Stück fehlte.
Wilhelms Ring und Umhang und Christinas Kleid! Wie kamen diese Sachen hierher?
Erst das Tuch, nun auch noch diese Sachen! Damit konnte man ihm eine Verbindung zu allen drei Morden anlasten! In was für eine hinterhältige Falle war er da geraten? Wer hatte sich dies nur ausgedacht? Kalle Kleinz? Er stammte zwar aus Köln, aber seine Frau war eine Hiesige. Gehörte sie etwa zu den
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