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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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stand ich auf und zwängte mich durch die Lücke zwischen den Felsen hinter mir. Zuerst war sie beunruhigend schmal, doch auf der anderen Seite öffnete sie sich zu einer breiteren Spalte. Vertrautheit lenkte meine müden Schritte, denn diesen Weg hatte ich mehr als nur einmal genommen. In gewissen Kreisen von Muena Palaiya war er als »Hintertür« bekannt gewesen.
    Der Pfad – wenn man ihn so nennen konnte – kroch am Kliff empor und darum herum. Es war hier weniger steil und bestand vor allem aus großen Felsen und Vorsprüngen. An den besten Stellen bildete der Weg ein schmales Band aus lockerem Boden zwischen großen Felsblöcken; an den schlechteren führte er über loses Geröll an steilen Hängen, und manchmal musste man sogar über Bäume klettern, die aus der Felswand ragten. Für eine solche Kletterpartie war ich nicht in der richtigen Verfassung. Schon nach kurzer Zeit stellte ich fest, dass ich eine rote Spur auf dem weißen Gestein hinterließ – meine Schulter blutete wieder. Ich stellte mir vor, wie ich das Bewusstsein verlor und in die Tiefe stürzte, wie sich unten betroffene Stadtbewohner an meinem zerschmetterten Leichnam versammelten.
    Der Weg schien endlos zu sein.
    Aber was ihn so schwer machte, gab ihm auch Sicherheit. Nur an einigen wenigen Stellen konnte man mich von der Stadt aus sehen. Als ich schließlich den »Rückwegfels« erreichte, war ich ziemlich sicher, unentdeckt geblieben zu sein.
    Benommen blieb ich auf dem Bauch liegen, und Verwirrung erfasste mich. Wo war ich? Was machte ich hier? Ich beschloss, Salzleck zu fragen, den ich hinter mir Blätter kauen hörte.
    Dann rückten die Erinnerungen an ihren Platz, und aus den vermeintlichen Kaugeräuschen wurde das Rauschen des Winds. Das Fieber ließ ein wenig nach.
    Ich zog mich zum Rand des Steilhangs und spähte vorsichtig darüber hinweg. Die östliche Mauer von Muena Palaiya grenzte direkt an die hoch aufragende Felswand, und der Vorteil des Rückwegfelsens bestand darin, dass er ein wenig über die Brustwehr ragte, neben einem nicht ganz so steilen Abschnitt des Hangs. Dort konnte man nach unten klettern, und mit größeren Anstrengungen auch nach oben. Es war ein gut gehütetes Geheimnis bei jenen, die unbemerkt kommen und gehen wollten. Das war zumindest bei meinem letzten Aufenthalt in Muena Palaiya der Fall gewesen. Aber vielleicht wussten die Wächter inzwischen Bescheid und behielten diesen Teil der Mauer besonders aufmerksam im Auge.
    Es befand sich niemand in der Nähe, und auch auf dem östlichen Teil des Wehrwalls sah ich keine Menschenseele. Ein Blick nach rechts teilte mir den Grund dafür mit. Die ganze Garnison – beziehungsweise das, was von ihr übrig war – stand in der Nähe des Tors auf der nördlichen Mauer, mit Helmen, die im Licht der Morgensonne glänzten, und wehenden blauen Umhängen. Offenbar galt das Interesse der Soldaten einem Spektakel, das sich vor und unter ihnen abspielte. Ich lauschte, hörte Stimmen und fragte mich, ob Moaradrids Streitmacht angriff. Die Männer auf der Mauer hielten keine Schwerter oder Bögen in der Hand, aber vielleicht war das nur eine Frage der Zeit. Ich beschloss, jetzt aktiv zu werden, solange die Soldaten abgelenkt waren und ich noch einen einigermaßen klaren Kopf hatte.
    Ich kroch noch etwas weiter nach vorn, blickte in die Tiefe und bereute es. Die Mauer schien sehr weit unten zu sein.
    War sie vielleicht geschrumpft? Oder hatte etwas den Felsen weiter nach oben geschoben?
    Nein, es lag am Fieber – die größere Höhe existierte nur in meinem verwirrten Gehirn. Ich konzentrierte mich und sah die erste »Stufe«, einen schmalen Vorsprung, von zahllosen Stiefeln glatt geschliffen. Ich biss die Zähne zusammen, schwang mich über den Rand und erreichte den Vorsprung mit dem einen Fuß, während sich meine Hände am Rand des Überhangs festkrallten. Als ich so weit war, hielt ich nach der zweiten Stufe Ausschau und fand sie ebenfalls.
    Plötzlich wurde mir schwindelig. Von einem Augenblick zum anderen waren meine Hände schweißfeucht und glitschig.
    Ich erinnerte mich nicht daran, wo sich die dritte Stufe befand. Vorsichtig beugte ich mich zur Seite und suchte danach, sah aber nur glatten Fels. Ich löste einen Fuß von der zweiten Stufe und tastete damit nach der dritten, doch auch diese Suche blieb erfolglos. Als ich den Fuß zurückziehen wollte, stellte ich fest, dass ich mich irgendwie gedreht hatte und mit der Seite zur Felswand hing.
    Ich wollte mich

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