Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
schlimm genug, festzustellen, dass mir die Reiter bis nach Muena Palaiya hinein gefolgt waren, offenbar mit Erlaubnis der hiesigen Wächter. Noch schlimmer – noch viel schlimmer – war der Umstand, dass ich den Reiter ganz vorn kannte. Die herbe Eleganz seiner Kleidung war mir ebenso vertraut wie das strenge, markante Gesicht und die besondere Ausdruckskraft, die jede seiner Bewegungen begleitete.
    Nur eine Sache unterschied ihn von unserer letzten Begegnung: Ihm fehlte der Geldbeutel.
    Dennoch konnte kein Zweifel daran bestehen, dass es sich um Moaradrid handelte. Er war höchstpersönlich gekommen, um mich zu jagen, wegen eines Edelsteins, der sich gar nicht mehr in meinem Besitz befand, eines Riesen, den ich zurückgelassen hatte, eines wertlosen Steins und einiger weniger Münzen. Ganz klar, er musste verrückt sein. Ich hatte ihn verärgert, und jetzt würde er mich bis ans Ende der Welt verfolgen, nicht weil er das Gestohlene wiederhaben wollte, auch nicht, um ein Exempel zu statuieren, sondern einfach nur deshalb, weil ich das Pech hatte, einen Verrückten erzürnt zu haben.
    Einer der Reiter sah nach oben.
    Ich duckte mich.
    Das Herz klopfte mir bis zum Hals, und ich atmete durch zusammengebissene Zähne. Es erklang kein Ruf. Es trampelten auch keine Stiefel über die Stufen einer der Treppen, die zu den Dächern emporführten. Dennoch, ich konnte nicht bleiben, wo ich war. Hatte der Rest von Moaradrids Gruppe inzwischen damit begonnen, Muena Palaiya Straße für Straße zu durchsuchen? Bildeten die Soldaten ein lebendes Netz, das sich langsam um mich zusammenzog? Selbst wenn das nicht der Fall war – die Bürger der Stadt würden bald nach meinem Gesicht Ausschau halten, weil es ihnen Reichtum versprach.
    Ich eilte in Richtung der Felswand zurück und sprang über mehrere Gassen hinweg. Ein Stück vom Tänzerweg entfernt änderte ich die Richtung und wandte mich nach Südosten, dem Roten Viertel entgegen.
    Das Rote Viertel war so alt wie Muena Palaiya, doch sein gegenwärtiger Name ging auf eine von Bürgermeisterin Estradas Neuerungen zurück. Sie hatte verfügt, dass jeder Anbieter von verbotenen Substanzen oder Diensten an seinem Haus eine rote Fahne aushängen oder, wenn eine solche nicht zur Verfügung stand, auf eine andere Art und Weise besagte Farbe zeigen musste. Wenn Estrada dabei so etwas wie Zensur im Sinn gehabt hatte, war die Sache gründlich danebengegangen. Die hiesigen Lasterhöhlen hatten die neue Verordnung voller Begeisterung akzeptiert, mit dem Ergebnis, dass die Farbe Rot im betreffenden Viertel allgegenwärtig war. Ich hatte dort viel Spaß gehabt, die meiste Zeit über. Und nur dort konnte ich hoffen, Unterschlupf zu finden, vorausgesetzt, ein gewisser Castilio Mounteban war noch immer Inhaber des Rotäugigen Hunds.
    Auf halbem Weg dorthin entdeckte ich einige Beutel mit mottenzerfressener Kleidung. Bei einer raschen Suche fiel mir ein verblichener violetter Mantel auf. Er war zu dünn, als dass er für die Nacht als Decke hätte taugen können, und Futter und Saum waren zerrissen, aber er hatte eine Kapuze. Ich nahm ihn und steckte dafür meinen blutbefleckten Mantel in den Beutel. Leider gab es weder Stiefel noch eine Hose in meiner Größe, doch dafür fand ich etwas weiter entfernt einen offenen Korb mit Feigen, die offenbar in der Sonne trocknen sollten. Ich griff hinein und genehmigte mir einige zum Frühstück, obwohl mein Durst größer war als mein Hunger.
    Mit etwas im Magen und halbwegs verkleidet fühlte ich mich besser. Doch bald ergaben sich neue Probleme. Zunächst musste ich ein kleineres Armenviertel mit einfachen Hütten hinter mich bringen, und dort kam ich langsamer voran, weil es die Strohdächer zu meiden galt, die mein Gewicht nicht tragen konnten.
    Das Rote Viertel mit seinen üppig verzierten und teilweise recht hohen Gebäuden konfrontierte mich mit Schwierigkeiten anderer Art. Es gelang mir, auf den Balkon zu springen, der den ersten Stock des Scharlachroten Gewands umgab, und darüber hinwegzuklettern, wobei ich versuchte, mich nicht in den vom Dach weiter oben herabhängenden burgunderroten Stoffbahnen zu verheddern.
    Ich flitzte um die erste Ecke und stieß fast gegen eine Frau, die ein wenig über die Blüte der Jugend hinaus war und einen Umhang trug, der kaum über die Reizwäsche darunter hinwegtäuschte. Sie lehnte am Geländer und rauchte eine Pfeife mit langem Stiel. Überrascht drehte sie den Kopf und sah mich aus üppig geschminkten Augen

Weitere Kostenlose Bücher