Im Schatten der Giganten: Roman
brummte er und wirkte dabei alles andere als begeistert.
»Natürlich ist er das«, sagte ich und schob mich an ihm vorbei.
Schmale Stufen führten in die Dunkelheit hinab. Ich tastete mich vorsichtig hinunter. Auf halbem Weg begannen meine Augen zu tränen, zum einen wegen der Rauchschwaden, die mir entgegentrieben, und zum anderen weil es nach hochprozentigen Getränken und alter Kotze roch. Es war nicht ganz unmöglich, sich vorzustellen, dass der Hund in besseren Zeiten etwas mehr als ein dreckiges Saufloch gewesen war. Die Lampen hatten verzierte Glasschirme und erinnerten mich an die in Moaradrids Zelt. Tapisserien hingen an den nackten Steinwänden, und unter ihren dicken Schmutzkrusten zeigten sich noch vage einige Muster, die einmal recht bunt gewesen sein mussten. Die Sitzbänke wiesen Polster auf, auch wenn diese Polsterung inzwischen grau und unansehnlich geworden war. Die Theke bestand unter all ihren Kratzern und Dellen aus massivem schwarzen Holz, dessen Ursprung ich nicht kannte.
»Hierher!«
Der Ruf kam aus der fernsten Ecke. Ich ging an den Tischen vorbei und achtete darauf, niemandem auf den Fuß zu treten. Wer in einem solchen Lokal um diese Zeit am Morgen trank, dem sollte man besser nicht in die Quere kommen. Hinten im Schankraum, in der Nähe des Kamins mit den kümmerlichen Resten eines Feuers, stand ein Tisch, der sich in einem etwas besseren Zustand befand als die anderen. Ein großer Mann saß dort, in einen Poncho gehüllt, dessen Farben ihre einstige Pracht verloren hatten. Er rauchte eine Wasserpfeife, die auf dem Tisch stand, blies den Rauch in kleinen Stößen zur Seite. Als ich mich näherte, hob er eine fleischige Hand zum Mundstück. Die andere hielt er mit dem Mittelfinger nach unten. »Setz dich.«
Es war keine Bitte, sondern ein Befehl. Ich gehorchte.
Er beugte sich vor und musterte mich mit seinem einen Auge. Das andere hatte er, soweit ich wusste, als Kind bei einer Rauferei verloren, bevor er ins Castoval gekommen war – allerdings erzählte er eine andere Geschichte darüber. Er sah älter aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Einige seiner Muskeln schienen sich inzwischen in Fett verwandelt zu haben, allerdings nicht so viele, dass ich es wagen würde, mich bei ihm unbeliebt zu machen. Er strich sich mit der einen Hand über den Bart, der ebenso wild wucherte wie das Haar, und sagte: »Du bist es wirklich.«
»Ja, Mounteban. Leibhaftig. Zumindest das, was von mir übrig ist.«
»Ich habe mich schon gefragt, ob du zu mir kommen würdest. Man spricht überall in der Stadt über dich. Offenbar verstehst du es noch immer gut, Leute gegen dich aufzubringen.«
»Es liegt an meinem messerscharfen Verstand und an meinem guten Aussehen. Wie soll man sich vor Neid schützen?«
»Allerdings.« Mounteban beugte sich erneut vor, und ich folgte seinem Beispiel. »Ich würde gern sagen, dass ich mich freue, dich wiederzusehen, aber es wäre gelogen.«
Plötzlich fühlte ich mich sehr allein. »Ich wusste nicht, wohin ich mich sonst wenden sollte. In einer solchen Situation bin ich nie zuvor gewesen, Ich fürchte, sie haben wirklich vor, mich bis ans Ende der Welt zu jagen. Ein Pfeil hat mich an der Schulter getroffen. Seit Tagen habe ich kaum was gegessen.«
Mounteban nickte ernst. »Keine Sorge, ich liefere dich nicht aus. Aber ich weiß auch nicht, wie ich dir helfen soll. Und wenn dich die Soldaten nicht bald finden, dürfte es hier in Muena Palaiya ziemlich ungemütlich werden.« Er sah an mir vorbei und stand plötzlich auf. »Warte hier«, sagte er und schritt zum Eingang.
Ich schaute ihm nach und bemerkte eine Gestalt, die gerade hereingekommen war und jetzt in der Düsternis beim Eingang wartete. Sie war klein und trug einen dunklen Mantel, dem meinen nicht unähnlich; die Kapuze hatte sie über den Kopf gezogen. Offenbar war ich nicht der Einzige, der im Hund unerkannt bleiben wollte. Ich gewann den Eindruck, dass Mounteban ein ziemlich langes Gespräch mit dem Fremden führte, obwohl vermutlich nur einige Minuten verstrichen. Als er das Gespräch beendete, wandte ich rasch den Blick ab, obwohl er bestimmt wusste, dass ich ihn beobachtet hatte.
Eine weitere Minute verging, bevor er am Tisch erschien, einen Teller mit Brot, Käse und getrockneten Tomaten in der einen Hand und einen Becher Wein in der anderen. »Einer meiner Agenten«, sagte er zur Erklärung.
Das überraschte mich. Als ich Castilio Mounteban kennengelernt hatte, war er, nach einer Karriere als
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