Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
oder ein Offizier.
    Wie auch immer, es war sein Kollege, der die Sache in die Hand nahm. Mit einem kurzen Blick zu Salzleck sagte er: »Ich glaube, Ihr solltet mit uns kommen, gnädige Frau.«
    »Ich verabscheue es, ›Ich habe es dir ja gesagt‹ zu sagen. Nein, warte. Eigentlich sage ich es ganz gern.«
    »Es wird bestimmt alles gut.«
    »Für dich vielleicht. Der einzige Vorteil, den ich für mich entdecken kann, besteht darin, dass ich vermutlich keinen neuen Hut kaufen muss.«
    »Mach dir keine Sorgen.«
    »Ach? Glaubst du, dass man mich vielleicht mit ein bisschen leichter Folter und anschließend lebenslanger Haft in irgendeinem dunklen Verlies davonkommen lässt? Oh, da du es erwähnst … Ich habe davon gehört, dass der Prinz eine Schwäche für Berufsverbrecher hat.«
    »Sei still«, sagte der nächste Wächter und gab mir eine Kopfnuss. »Sprich nicht über Seine Hoheit.«
    Der Schlag hielt mich davon ab zu erwidern: Wie sollten wir mit dem Prinzen sprechen können, wenn wir ihn nicht erwähnen durften? Selbst Estrada musste inzwischen begriffen haben, dass diese Männer kaum beabsichtigten, uns zum Palast zu bringen.
    Wir ließen die Rastlosigkeit des Hafens hinter uns und marschierten durch das im Westen angrenzende Untere Marktviertel. Dabei sorgten wir für mehr Aufsehen, als mir lieb war. Die Rufe der Straßenhändler und ihrer Kunden verklangen, und alle drehten sich nach uns um. Es tröstete mich kaum, dass ihr Interesse vor allem dem Riesen hinter uns galt; Estrada und mich streifte nur der eine oder andere flüchtige Blick. Ich wusste, wie schnell sich Neues in Altapasaeda herumsprach. Selbst wenn es Estrada gelang, uns irgendwie aus diesem Schlamassel herauszureden – Moaradrid würde schon bald von unserer Ankunft in der Stadt erfahren.
    Den Wächtern schien all die Aufmerksamkeit, die wir auf uns zogen, ebenfalls nicht zu behagen. Sie hatten ein lockeres Oval um uns gebildet und wahrten nun einen respektvollen Abstand, der bei Salzleck besonders groß war, wodurch die eiförmige Formation eher zu einer birnenförmigen wurde. Sie hätten nicht viel tun können, wenn er auf den Gedanken gekommen wäre, Widerstand zu leisten. Dass er sich ganz ruhig verhielt, stand im Gegensatz zu ihren Erfahrungen mit verhafteten Verbrechern und machte sie nervös.
    Durch einen Torbogen verließen wir das Untere Marktviertel. Den Verkaufsständen auf den Straßen folgten mit Stuck verzierte Läden, die metallene Balkone und Fensterläden aus schwarzem Holz besaßen. Hier gab es Parfümerien, Feinkostgeschäfte, Blumenhändler, Weinläden und mehr als ein großes Aviarium mit Käfigen, die zahlreiche Vögel mit bunten Gefiedern präsentierten. In diesen Straßen herrschte nicht ganz so dichter Verkehr, und die Leute, die hier unterwegs waren, trugen bessere Kleidung. Die Männer zeigten sich in langschwänzigen Gehröcken, die Frauen in weiten Gewändern, fast ebenso bunt wie die Vögel. Diese Leute übten mehr Zurückhaltung als die im Unteren Marktviertel, obwohl sie ebenso neugierig waren, und um über ihr Glotzen und Gaffen hinwegzutäuschen, bewegten sie Fächer und drehten ruckartig den Kopf. Das Unbehagen der Wächter schien dadurch noch größer zu werden – sie wirkten, als wollten sie uns gehen lassen, nur um nicht mehr im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen.
    Ich wollte ihnen gerade einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten, als wir die Hauptstraße verließen und den Weg durch eine Gasse fortsetzten. Sie endete auf einem großen Platz, den ich nur zu gut kannte. Der Rote-Nelke-Platz verdankte seinen Namen nicht besagter Blume, sondern einem Sockel in der Mitte und dem vielen Blut, das von ihm geflossen war. Zwei Ängste hatten mir den kurzen Aufenthalt in Altapasaeda verdorben. Die erste galt dem hölzernen Rechteck in der Mitte jenes Platzes, zerfurcht von den vielen Armen, Beinen und Köpfen, die darauf abgehackt worden waren. Die zweite bezog sich auf das Gebäude aus weißem Stein dahinter. Es hatte viele Fenster, aber alle waren vergittert, und durch die Tür kamen nur wenige Leute, die nicht auf dem Block endeten.
    Zu eben dieser Tür führte man uns, zu einer kleinen Pforte aus dunklem Holz, mit metallenen Beschlägen verstärkt. Sie wirkte enttäuschend harmlos, wenn man bedachte, dass sie die einzige Möglichkeit darstellte, das gefürchtetste Gefängnis des Castoval zu betreten oder zu verlassen. Der Wächter ganz vorn klopfte auf das dunkle Holz, und die Tür schwang

Weitere Kostenlose Bücher