Im Schatten Der Wälder: Roman
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S ie erwachte in völliger Dunkelheit, unfähig, sich zu bewegen, etwas zu sehen oder zu sprechen. Ihr Kopf pochte wie eine offene Wunde, und Übelkeit überschwemmte sie in Wellen. Desorientiert. Desorientiert, außer sich vor Angst bäumte sie sich auf, aber ihre Arme waren hinter ihrem Rücken gefesselt; ihre Beine fühlten sich an wie gelähmt.
Mühsam rang sie nach Luft.
Verzweifelt riss sie die Augen auf. Sie hörte ein stetiges Brummen und dachte, sie sei in der Höhle eines wilden Tieres.
Nein, nein, das war ein Motor. Sie war in einem Auto. Der Mann. Der Mann, der ihr beim Joggen entgegengekommen war.
Sie sah alles ganz deutlich vor sich, die Morgensonne, den klaren blauen Himmel, wie eine Leinwand hinter den leuchtenden Farben des Herbstes. Sie spürte den Herbstgeruch noch auf der Zunge.
Sie hatte sich warmgelaufen und fühlte sich ganz leicht. Kraftvoll. Sie liebte dieses Gefühl von Einsamkeit und Freiheit.
Dann kam der Mann auf sie zugelaufen. Das war nichts Besonderes. Sie würden aneinander vorbeilaufen, und alles war wie vorher.
Aber … war er gestolpert, war sie einen Moment lang stehen geblieben, um ihm zu helfen? Sie konnte sich nur noch undeutlich erinnern.
Aber sie sah sein Gesicht vor sich. Das Lächeln, die Augen – etwas in diesen Augen –, und gleich darauf der Schmerz.
Schmerz. Als ob sie von einem Blitz getroffen worden wäre.
Greg und ihr Onkel hatten sie gewarnt. Lauf nicht allein. Halt den Notrufknopf bereit. Sei wachsam.
Sie hatte abgewinkt. Was konnte ihr denn schon passieren? Warum sollte ihr etwas passieren?
Aber es war passiert. Sie war entführt worden.
Sie hatte von den anderen Mädchen in der Zeitung gelesen. Sie taten ihr leid, aber sie hatte sie auch wieder vergessen und ihr Leben weitergelebt.
Würde über sie jetzt genauso in der Zeitung berichtet werden?
Warum nur? Warum?
Sie wehrte sich, weinte und schrie. Aber durch das Klebeband über ihrem Mund drangen keine Geräusche, und durch die Bewegungen schnitten die Fesseln nur noch tiefer in ihre Haut, bis sie ihren Schweiß und ihr Blut riechen konnte.
Bis sie ihren eigenen Tod roch.
Sie erwachte im Dunkeln. Gefangen. Aber der Schrei erstickte in ihrer Kehle, als sie das Gewicht von Simons Arm über sich spürte und sein stetiges Atmen – und das des Hundes – hörte.
Und doch krallte sich die Panik um ihre Brust. Sie musste heraus!
Sie schob sich zur Zeltklappe, öffnete sie und krabbelte in die kühle, feuchte Luft.
»Hey, warte. Bleib hier.«
Simon packte sie an den Schultern, aber sie riss sich los. »Nicht. Nicht. Ich muss atmen.« Sie hyperventilierte, und um sie herum drehte sich alles. »Ich kriege keine Luft.«
»Doch.« Er packte sie fester, zog sie auf die Knie und schüttelte sie. »Atme. Sieh mich an, Fiona. Atme! Los!«
Keuchend rang sie nach Luft.
»Komm, ganz langsam. Einatmen, ausatmen. Langsamer, verdammt noch mal! Langsamer!«
Sie starrte ihn an. Für wen hielt er sich? Sie versuchte, ihn wegzustoßen, aber er rührte sich nicht von der Stelle. Wieder und wieder schüttelte er sie.
Und schließlich atmete sie.
»So, weiter. Bogart, sitz. Einatmen, ausatmen. Sieh mich an. Einatmen, ausatmen. Besser, so ist es besser. Weiter so.«
Er ließ sie los. Sie hockte sich hin, und Bogart stupste sie mit der Nase an. »Es ist schon okay. Es geht mir besser.«
»Trink. Aber langsam.« Simon drückte ihr eine Wasserflasche in die Hand. »Langsam.«
»Ja, ich weiß. Es ist in Ordnung.« Sie stieß die Luft aus, dann trank sie vorsichtig einen Schluck. »Danke. Es tut mir leid.« Sie trank noch einen Schluck. »Offensichtlich war ich doch nicht zu müde für die Panikattacke. Ich hatte einen Flashback. Es war … Gott, das ist mir lange nicht passiert, aber die Umstände waren natürlich dazu angetan.«
Sie schlang den Arm um Bogarts Hals. »Du warst gemein«, sagte sie zu Simon. »Aber genau das habe ich gebraucht. Du könntest Kurse geben.«
»Du hast mich zu Tode erschreckt. Verdammt noch mal. Mir gefällst du tough besser.«
»Ich mir auch. Panikattacken sind mir peinlich.«
»Das ist kein Witz.«
»Nein, es ist Realität. Meine Realität.« Sie wischte sich mit dem Arm über ihr feuchtes Gesicht. »Zum Glück kommt es nicht so häufig vor.«
»Nicht«, sagte er, als sie aufstehen wollte. »Du bist kreideweiß. Wenn du alleine aufstehst, fällst du um.«
Er ergriff ihre Hände, um ihr aufzuhelfen. »Du sollst nicht blass und zerbrechlich sein«, sagte er leise.
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