Im Schatten Der Wälder: Roman
aber niemand machte auf. Dafür öffnete sich die Tür gegenüber einen Spalt.
»Sie ist nicht zu Hause.«
»Sie?«
»Sie ist erst vor zwei Wochen eingezogen. Ein junges Ding, erste Wohnung. Was wollen Sie?«
Beide Agenten zeigten ihre Ausweise. Jetzt ging die Tür weit auf. »FBI!« Sie riss die Augen auf.
Tawney musterte die Frau Anfang siebzig, deren Augen hinter der Brille funkelten.
»Ich liebe diese Fernsehsendungen über das FBI. Ich schaue sie mir alle an. Oder auch Krimis. Hat das Mädchen etwas angestellt? Das glaube ich eigentlich nicht. Sie ist freundlich und höflich. Und sauber, auch wenn sie sich so anzieht wie die meisten jungen Dinger heutzutage.«
»Wir hatten eigentlich gehofft, mit Francis Eckle sprechen zu können.«
»Oh, er ist kurz nach Weihnachten weggefahren. Seine Mutter ist krank geworden. Das hat er jedenfalls gesagt . Ich wette, er ist in so einem Zeugenschutzprogramm. Oder er ist ein Serienmörder. Dazu ist er eigentlich der Typ.«
Mantz zog die Augenbrauen hoch. »Ms … ?«
»Hawbaker. Stella Hawbaker.«
»Ms Hawbaker, dürfen wir eintreten und mit Ihnen sprechen? «
»Ich wusste doch, dass er komisch ist.« Sie hob den Finger. »Kommen Sie herein. Setzen Sie sich«, forderte sie die Agenten auf und schaltete den Fernseher aus. »Ich trinke keinen Kaffee, aber ich habe welchen im Haus, wenn eins der Kinder vorbeikommt. Kaffee und auch Cola.«
»Nein, danke«, sagte Tawney. »Sie haben gesagt, Mr Eckle ist nach Weihnachten weggefahren.«
»Ja, genau. Ich habe gesehen, wie er Koffer heruntergeschleppt hat, mitten am Tag. Normalerweise ist außer mir dann niemand im Haus. Deshalb habe ich zu ihm gesagt:
›Verreisen Sie?‹ Und er lächelte, auf seine komische Art, ohne mich anzugucken, und meinte, er müsse zu seiner Mutter. Sie sei gestürzt und hätte sich die Hüfte gebrochen. Aber in all den Jahren, in denen er hier gewohnt hat, hat er seine Mutter nie erwähnt. Allerdings hat er sowieso nicht viel geredet. Er hat sehr zurückgezogen gelebt.« Sie nickte wissend. »Das sagt man doch immer über Leute, die dann hingehen und andere mit der Axt erschlagen. Wie unauffällig und zurückhaltend sie waren.«
»Hat er erwähnt, wo seine Mutter wohnt?«
»Ich habe ihn direkt danach gefragt, und da sagte er, sie würde in Columbus, Ohio, leben. Aber sie war nie hier, und er ist vorher auch nie zu Besuch dorthin gefahren.«
Sie tippte sich mit dem Finger an den Nasenflügel. »Das stinkt doch. Umso mehr, als er nie wieder zurückgekommen ist. Er hat seine Möbel zurückgelassen – oder jedenfalls die meisten, soweit ich sehen konnte, als der Vermieter die Wohnung geräumt hat. Bloß seine Bücher hat er wohl bei eBay oder so verkauft – mitgenommen hat er sie jedenfalls nicht.«
»Sie passen gut auf, Ms Hawbaker.«
Sie nahm Tawneys Kompliment mit einem Lächeln entgegen. »Ja, das tue ich, und da die meisten Leute alten Damen nicht viel Beachtung schenken, fällt das kaum jemandem auf. Ich habe in den letzten Monaten beobachtet, wie er Pakete und Päckchen weggebracht hat, und deshalb habe ich mir gedacht, dass er seine Bücher vielleicht verkauft hat oder so. Er brauchte bestimmt Geld. Nach Januar hat er keine Miete mehr bezahlt, und der Vermieter hat mir erzählt, er hat seinen Job gekündigt und sein Bankkonto leer geräumt.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Aber das wissen Sie wahrscheinlich schon.«
»Hatte er Freunde, Besuch?«, fragte Mantz. »Freundinnen vielleicht?«
Ms Hawbaker schnaubte verächtlich. »Mit einer Frau habe ich ihn nie zusammen gesehen – ebenso wenig wie mit einem Mann, falls er andersherum gewesen wäre. Der war nicht normal. Er war höflich, ja, konnte sich gut ausdrücken, aber wenn man ihn nicht ansprach, sagte er keinen Ton. Was hat er denn gemacht?«
»Wir wollen nur mit ihm reden.«
Sie nickte weise. »Er ist wahrscheinlich ein Verdächtiger in irgendeinem schlimmen Fall. Er hat so einen kompakten Kleinwagen mit Schrägheck gefahren. Den hat er an jenem Tag auch vollgepackt und ist mit ihm losgefahren. Ich kann Ihnen noch was erzählen, weil ich neugierig bin und ein bisschen herumgeschnüffelt habe – und weil ich mit dem Vermieter darüber gesprochen habe. In der Wohnung gab es keine einzige Fotografie, keinen Brief, noch nicht einmal eine Ansichtskarte. Er hatte gar nicht vor, wieder zurückzukommen, das ist meine Meinung. Und er ist garantiert nicht zu seiner Mutter gefahren, um sie zu pflegen. Wenn er überhaupt noch eine
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