Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
Das Rascheln von Waldtieren war überdeutlich zu hören, trotz ihrer eigenen schwerfälligen Schritte. Sie entdeckte in der Dunkelheit ein aufgescheuchtes Erdhörnchen, das geräuschvoll die Flucht ergriff.
Naomi spürte nicht, dass sie ihre Schuhe verlor, ebenso wenig, dass die herabhängenden Äste ihr Kleid zerrissen. Sie dachte nicht, sie spürte nicht, sie agierte nur. Ihr Geist war frei. Als sie ihr Ziel, die Lichtung im Wald, erreichte, kauerte sie sich zwischen den Wurzeln der mächtigen Ulme nieder. Eine angenehme Wärme umfing sie; steigerte sich in Hitze. Ihr Körper kribbelte, als läge sie in einem Ameisenhaufen, bevor sie tiefe Dunkelheit umhüllte.
Das Knacken eines Astes schreckte sie auf.
»Na endlich.«
Naomi kannte die Stimme. Sammy. Sie öffnete die Augen. Die Lichtung war erleuchtet. Der Vollmond tauchte alles in silbernes Licht. Die Bäume ringsum lagen in hellen Nebelschwaden versunken. Warum war sie hier? Und, wo war Sammy? Sie öffnete den Mund, um ihn zu rufen. Ein kehliges Geräusch entwich ihrem Hals. Ihre Stimme. Sie konnte nicht sprechen.
»Naomi, ich bin hinter dir, zwischen den Bäumen. Ich wusste, dass du heute kommen würdest.«
Naomi drehte sich herum, stolperte und fiel auf ihre Schulter. Um den Schmerz zu vertreiben, versuchte sie sich an der Schulter zu reiben, doch ihr Arm gehorchte ihr nicht. Sie sah nach unten. Pelzige Tatzen. Schwarzes Fell. Erschrocken wich sie zurück. Die Pfoten folgten ihr in dieselbe Richtung. Sie war vor sich selbst erschrocken.
»Hab keine Angst.« Sammys Stimme klang beschwörend. »Du musst dich beruhigen.«
Naomis Kopf drehte sich in alle Richtungen. Abermals versuchte sie zu sprechen. Der kehlige Laut wiederholte sich.
»Wenn du sprechen willst, musst du es denken.« Hinter ihr raschelte es im Unterholz.
Denken?, fragte sich Naomi.
»Ja. Genau. Du musst es denken. Wir verständigen uns über unsere Gedanken.«
Naomi drehte sich um die eigene Achse und stürzte, als sie über ihre eigenen Vorderpfoten stolperte. Schlagartig fiel ihr die Geschichte ein, die Leandra ihr versucht hatte zu erklären.
»Wer ist Leandra?« Sammy blieb immer noch in seinem Versteck. »Was hat sie dir erzählt?«
»Das kann nicht sein. Ich bin kein ...« Naomi wagte nicht den Satz zu Ende zu denken.
»Doch, du bist ein Katzenmensch. Und, es ist gefährlich hier. Wir sollten gehen. Ich werde dich alles lehren, was notwendig ist. Komm, versuche ein paar Schritte zu gehen«, forderte Sammy sie auf.
Naomi hob ihre rechte Pfote, setzte sie auf, um sofort die linke Pfote zu heben. Sie strauchelte und fiel auf die Seite, wie ein frischgeborener Welpe. Ihre Angst war verschwunden. »Ich kann das nicht.«
Trotzdem versuchte sie es weiter. Dieses Mal wackelte sie, konnte aber einen Sturz verhindern. Erneut hob sie ihre rechte Vorderpfote und gleichzeitig die linke Hinterpfote. Nach einigen Versuchen konnte sie die Schritte ausbalancieren. Konzentriert setzte sie eine Tatze vor die andere. Das schwarze Fell auf ihren Pfoten glänzte im Vollmond.
»Sammy, wo bist du?«
»Direkt hinter dir. Komm weg von der Lichtung. Es ist viel zu hell. Wir müssen gehen.«
Naomi hörte das Rascheln hinter sich. Ihre Gedanken konzentrierten sich auf ihre nächsten Schritte. Sie durchbrach das Dickicht. Der unebene Boden verhinderte ein sicheres Auftreten, und sie schwankte hin und her, bis sie direkt vor Sammy auf die Seite fiel. »Es ist gefährlich hier? Warum?«
Sammy stupste sie mit dem Kopf an, fuhr an ihrer Seite entlang. »Beeil dich. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Er ging voraus. Seine Bewegungen waren geschmeidig. Naomi tapste unbeholfen hinter ihm her. Jeder Schritt ließ sie trittsicherer werden. Nach etwa einhundert Metern, die sie tiefer in den Wald eingedrungen waren, funktionierte der Bewegungsablauf ihrer vier Beine runder, und sie konnte endlich Fragen stellen, da sie sich nicht mehr auf die Schritte konzentrieren musste. »Sammy, wohin gehen wir?«
Sammy stoppte. Als Naomi neben ihm stand, fiel ihr auf, dass sie nicht einmal halb so groß war wie Sammy. Er sah aus wie ein ausgewachsener Panther.
»Wir müssen weiter weg von der Lichtung. Es gibt nicht nur uns hier. Es gibt einen feindlichen Clan. Dem darfst du jetzt auf keinen Fall begegnen. Du würdest einen Kampf nicht überleben. Noch nicht. Jetzt komm schon.«
Naomi hörte die Dringlichkeit in seiner Stimme und fragte nicht weiter. Sie war in Gefahr. Sammy wollte sie beschützen. Naomis Nackenhaare
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