Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
den Handkarren, den Otto gestern da stehen lassen musste.«
Er zog wieder einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich.
»Ja, habe schon von dem Unfall gehört. Aber das war zu erwarten. Irgendwann platzt uns allen hier der Kragen mit diesem Schmutzfink. Wäre das Beste, wenn ihn der da oben schnellstens holt. Wir haben schon Ärger genug ...«
»Ärger? Wer ist ›wir‹?«
Es stutzte einen Moment. Meine Frage war ihm nicht geheuer. »Ich kenne Sie nicht. Wer sind Sie? Was geht Sie das an?«
»Ich berate die Gersters geschäftlich«, log ich, »vielleicht kann ich Ihnen auch helfen.«
»Wie wollen Sie das machen? Sie kennen sich hier nicht aus, ich kenne noch nicht einmal Ihren Namen.«
Ich stellte mich vor, änderte aber meinen Beruf von Journalist in Unternehmensberater.
Meine Erfahrung hatte mich gelehrt, dass Leute, die etwas nicht sagen wollten, wie eine Auster zuschnappten, wenn sie mit einem Journalisten konfrontiert wurden. Aber Berater, denen konnte man sich anvertrauen wie einem Psychiater oder Pfarrer bei der Beichte. Sie hatten den unerschütterlichen Glauben, dass ein Berater einer gesetzlichen Schweigepflicht unterlag. Zugegeben, der Trick war nicht gerade fein, aber er wirkte.
»Die Gersters vertrauen mir gerade, weil ich nicht von hier bin. Ich bin auch heute Abend bei Ihrer Versammlung dabei.«
Er bestellte zwei Viertel für uns. »Na ja. Schaden kann es nicht. Es pfeifen ja schon die Spatzen von den Dächern.«
Was er erzählte, bestätigte nur die Aussage von Gerster und das Gespräch, das ich im Café mitgehört hatte.
Zwei Verwaltungsgesellschaften teilten sich den Platz auf. Seltsam war allerdings die Art der Aufteilung. Ich hätte es als normal betrachtet, dass ein Grundstückseigentümer ein möglichst zusammenhängendes Stück sein Eigen nennen würde. Also Verwaltung »A« die Gebäude nördlich des Münsters, Verwaltung »B« die südlichen Immobilien.
Dem war aber nicht so. Der Stammtischwirt zahlte an »A«. Sein Nachbar, ein Kroate, an »B«, der anschließende Kebab wieder an »A«, der Textilladen an »B«, das auf der gleichen Seite liegende Andenkengeschäft wieder an »A«.
Die gleiche Konstellation ergab sich auf der Nordseite, mit Ausnahme der Konditorei Hofmann, die im Familienbesitz war.
»Das verstehe ich nicht«, gab ich zu.
»Doch, ganz einfach«, klärte mich der Wirt auf.
Sein direkter Konkurrent war der Kroate. Ihm selbst hatte man die Pacht nicht unerheblich angehoben. Dem Kroaten nicht. Der Kebab hatte ebenfalls eine Anhebung erfahren, wie das MünsterCafé. Dessen Nachbarn, die Pizzeria und der Grieche nicht. Auf Hofmanns hatte man keinen Zugriff.
Der Zusammenhang leuchtete mir nicht ein.
»Wenn Sie zu ›A‹ gehören, dann wird ›B‹ bald ebenfalls die Pacht anheben. Alles andere wäre kaufmännischer Blödsinn.«
Er bestellte noch zwei Viertel und zündete sich die x-te Zigarette an. »Eben nicht. Denn jetzt kommt die Bank ins Spiel.«
Er ließ uns kalten Hackbraten mit eingelegtem Kürbis kommen.
»Ich war gestern auf der Bank. Die haben das schon gewusst und mir ein Ultimatum gestellt. Entweder ich steige aus dem Pachtvertrag aus, was ich bei der Erhöhung rechtlich könnte, oder ich versuche es durch höhere Preise abzufangen. Verstehen Sie?«
»Nein, verstehe ich nicht. Was hat die Bank damit zu tun?«
Er rollte mit den Augen und zündete sich eine Zigarette an, obwohl die letzte halb angeraucht im Aschenbecher verqualmte.
»Meine Rücklagen – oder wie Sie es nennen wollen – sind aufgebraucht. Steige ich aus dem Vertrag aus, dann bin ich pleite. Erhöhe ich die Preise, dann laufen mir die Touristen zum Kroaten.«
Jetzt verstand ich. Ein trickreiches Spiel. Wenn es dem Kebab und dem MünsterCafé ähnlich erging, war ein Regulativ um das Münster tätig, das mit freier Marktwirtschaft wenig zu tun hatte.
»Wer steckt Ihrer Meinung nach dahinter?«
»Mafia und Kirche«, polterte er. »Keiner weiß, wer hinter den Verwaltungen steckt. Die sind zwar im Grundbuch als Eigentümer eingetragen, aber da steckt noch jemand hinter.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Es geistert schon seit Monaten das Gerücht, dass ein Investor den Platz übernehmen will. Der könnte Pächter nicht gebrauchen, die Verträge haben. So macht man eben einen nach dem anderen kaputt.«
»Sind Ihre Kollegen derselben Meinung?«
Irgendwo fehlte die zwingende Logik. Mir wollte nicht einleuchten, warum sich Verwaltungsgesellschaften und Bank solch eine
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