Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
Mühe machen sollten, um Pächter loszuwerden.
»Kollegen ...«, knurrte er verächtlich. »Schauen Sie sich doch mal an, was wir für ein Gesindel haben. Lauter Ausländer. Ich bin der einzige deutsche Gastwirt. Das Pack kann noch nicht einmal die Verträge lesen, die sie unterschrieben haben. Nein, auf mich hat man es abgesehen. Wenn man mich kleinkriegt, dann hat man mit diesen ›Kollegen‹ leichtes Spiel. Außerdem ist hier sowieso jeder gegen jeden. Der Kroate kann mich und den Griechen nicht leiden, der wiederum hat was gegen den Türken, und die Italiener sind gegen alle.«
»Dann hat die Prophezeiung des Professors doch einen Grund«, murmelte ich mehr zu mir selbst.
Der Wirt überlegte einen Augenblick. »Dazu muss man kein Prophet sein. Nein, der Professor hatte ein Erzengel-Syndrom. Der hat zu viel Staub aus den alten Büchern geatmet, in denen er andauernd herumgekramt hat. Hat völlig den Bezug zur Realität verloren. Musik und Vergangenheit waren sein Leben. Da kann man ja nicht normal bleiben ...«
»Können Sie sich vorstellen, was es mit diesem Otto auf sich haben soll?«, unterbrach ich seinen Redefluss.
Er klappte den Mund zu und wieder auf, um einen Schluck Wein zu nehmen.
»Für den Professor war alles suspekt, was nicht sofort einen lückenlosen Stammbaum herunterbeten konnte. Wer am Münster dauerhaft verkehrte, musste rasserein sein. Es gibt kaum einen Stammgast in den Lokalen hier herum, den er nicht bis Adam und Eva zurückverfolgt hat. Bei mir hat er herausgefunden, dass meine Vorfahren Hugenotten waren, die siebzehnhundert-was-weiß-ich aus Frankreich fliehen mussten. Er war eine Nervensäge.«
»Also ein Spinner, den man nicht ernst nehmen konnte«, versuchte ich eine klare Aussage zu provozieren.
»So würde ich das nicht sagen«, kratzte er sich in seinem Specknacken, »nur ausgerechnet Otto als den Großinqui ...dings zu bezeichnen ...«
»›Großinquisitor‹ meinen Sie ...«
»Ja, genau. Das hat ihn bei allen lächerlich gemacht.« Er lehnte sich zurück und schaute durch den wenig besetzten Gastraum. »Warum erzähle ich das überhaupt? Das ist doch so unwichtig wie ein Kropf. Der Professor ist tot, und Otto hat es auch bald geschafft, uns von seinem Anblick zu befreien. Um mich geht es, mir steht das Wasser bis zum Hals. Was würden Sie mir vorschlagen, als Berater?«
Ich schlugi hm das vor, was ich auch seit Jahren meinem heimischen Stammwirt versuchte klarzumachen: runter mit den Preisen. Wenigstens an umsatzschwachen Tagen.
»Oder machen Sie jeden Tag von ... bis ... eine ›Happy Hour‹. Alles zum halben Preis.«
Er schaute mich mit dumpfen Kuhaugen an, als hätte ein Geist zu ihm gesprochen, dessen Worte er zwar hörte, aber nicht verstand.
»So, ›happy hour‹, halber Preis. Wenn Sie meinen ...«
Seine Gehirnaktivitäten spiegelten sich Wort für Wort in seinem Gesicht wider.
»Geht nicht«, grunzte er, nachdem er die Worte geistig durchgekaut hatte. »Die anderen Wirte lynchen mich.«
»Es ist Ihre Existenz«, kürzte ich das nun schwerfällig werdende Gespräch ab.
»Wo ist Ottos Wagen?«, wollte ich im Herausgehen wissen.
»Hab ich der Müllabfuhr mitgegeben.«
Ich nahm es nur beiläufig zur Kenntnis, dass die Kirchenfenster im Licht wieder mit der Architektur spielten. Der Küster musste mir noch eine Frage beantworten. Ich fand ihn in der Sakristei.
»Sie haben hier keinen Zugang«,knurrte er mich an und beschäftigte sich weiter mit der Politur irgendwelcher sakraler Gegenstände.
»Ich bin Journalist und interessiere mich für den Vorfall gestern mit Otto.«
»Weiß nichts von einem Vorfall. War gestern nicht da.«
»Aber Sie wissen, wer Otto ist?«
»Ja.«
»Zeugen haben gesehen, wie Sie Otto gestern eigenhändig unter Einsatz körperlicher Gewalt vor das Nordportal gesetzt haben. Dabei hat er sich eine schwere Kopfverletzung zugezogen.«
Er hörte auf die Gegenstände zu bearbeiten.
»Moment mal. Dieser Otto ist zwar ein Ärgernis, und man gewöhnt sich an alles. Aber ich würde niemals Gewalt in der Kirche zulassen oder selbst welche anwenden. Nie. Fragen Sie den Pfarrer. Ich war gestern überhaupt nicht hier.«
»Die Zeugen behaupten aber ...«
»Welche Zeugen? Alte Weiber, die in jedem Kirchendiener den Stellvertreter vom Stellvertreter Gottes sehen. Vergessen Sie es. Die erkennen mich noch nicht einmal, wenn ich ihnen den Senf vom Arsch wische, in den sie sich setzen, wenn Touristen jeden Tag die Kirche mit einer Wurstbude
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