Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
Gericht dafür finden.«
»Gab es so etwas schon einmal?«
Er stoppte auf der Treppe und überlegte. »Nicht zu meiner Zeit. Ich bin jetzt schon seit der Gebietsreform von ’55 dabei. Aber bei meinem Vorgänger, da hat es mal jemand versucht. War gleich nach dem Krieg. Irgendein italienischer Graf wollte sein Eigentum zurückhaben.«
»Und was wurde daraus?«
»Er ist darüber gestorben.«
Meinen Gedanken, bei dem damals zuständigen Gericht nachzuforschen, wischte er weg. »Die bewahren solche Sachen nicht länger als dreißig Jahre auf.«
Wenn es auch frustrierend war, auf dieser Schiene nicht weiterzukommen, so gewannen die fehlenden Seiten der Doktorarbeit an Gewicht.
Welches Gewicht, sollte ich wenige Stunden später schmerzlich erfahren.
Zuerst versuchte ich noch einmal Pater Lutz zu sprechen. Er war der Einzige, der sich vielleicht noch etwas genauer erinnern konnte.
An der Pforte wurde ich abgewiesen. Der Pater sei überraschend auf unbestimmte Zeit abberufen worden.
Danach suchte ich das Stadtarchiv auf, aber auch Herr Gerster hatte plötzlich Urlaub genommen.
Um mich einen Augenblick zu sammeln, bestellte ich einen Kaffee in der Konditorei Hofmann.
Frau Hofmann machte einen aufgelösten Eindruck, und sah aus, als habe sie heute Morgen nicht die Zeit gehabt, sich zurechtzumachen. Sie brachte das Kännchen und setzte sich zu mir.
»Hier spinnen doch heute alle«, begann sie grußlos. »Stellen Sie sich mal vor, da klingelt es heute Morgen um sechs Uhr. Wer steht vor der Tür? Sie glauben es nicht. Die Steuerfahndung. Bei mir ...«, sie zündete sich ein Zigarillo an, »beim Griechen und auch beim Kroaten.«
Der Tisch war zwar für »Nichtraucher« ausgewiesen, aber das schien ihr egal zu sein. Wütend paffte sie blaue Kringel in den Raum. Die Bedienungen hinter dem Buffet verzogen schmerzlich die Mienen, ahnend, dass man der Chefin heute besser aus dem Weg ging.
»Das sieht verdammt nach einer konzertierten Aktion aus«, versuchte ich meine Anteilnahme mit Beruhigung zu paaren.
»Da will jemand mit einem Schlag die gesamte Gastronomie am Münster ruinieren. Da steckt Methode hinter ...«, sie bestellte zwei doppelte Cognac, »das sieht ein Blinder mit dem Krückstock.«
»Wer sollte das sein, wäre hätte Interesse daran?«
Sie schüttete den Cognac in einem Zug hinunter. »Brrr, ist das ein Dreckzeug ... Die Bank, die Kirche. Wer denn sonst? Diese Stinkstiefel versuchen schon seit Jahren, wie sie es nennen, eine sich schnell umschlagende Gastronomie zu installieren. Fastfood und so ’n Zeug.«
»Kann ich mir von der Kirche nicht vorstellen«, warf ich ein.
»Oho, da sind Sie aber schlecht informiert«, sie steckte ein weiteres Zigarillo an und kippte den Cognac, der für mich gedacht war, hinunter. »Die Kirche«, sie machte eine Rundumbewegung zum Münster, »wird bestimmt über die Verwaltungsgesellschaften am Umsatz beteiligt.«
Frau Hofmann war so aufgebracht, dass ich es vorzog, mich zu verabschieden.
Die Glocke schlug zwölf.
Ich fand Otto unter den Arkaden mit einer weinenden Lisa.
Er stützte sich auf einen Stock.
»Wird auch Zeit, Schnüffler, dass du kommst«,knurrte er.
»Sie haben Fritz umgebracht«, jammerte Lisa mit verweinten Augen.
»Wer hat den Hund umgebracht?«
Otto versuchte mit einem schmutzigen Tuch ihre Tränen zu trocknen.
»Alle. Sie werden dafür büßen.« Er stampfte mit dem Stock auf und nahm Lisa in den Arm. »Ich verspreche es. Und nun geh Orgel spielen ... etwas für Fritz. Er ist jetzt im Hundehimmel. Nicht mehr traurig sein, Comtessa.«
Ich sah ihr nach, bis sie durch die Südpforte im Münster verschwand. Der rot-gelbe Schulranzen blitzte ein letztes Mal in der Sonne. Dann schloss sich die Tür.
»Was ist mit Fritz?«
Otto schaute mich von unten mit verschleierten Augen an. »Vergiftet ... jemand hat ihn hier vergiftet. Ich muss Sie sprechen. Nachher, im Münster.«
Er hinkte zu den Marktständen, um seinen Rundgang zu beginnen. Sein Gang wirkte noch wackeliger als sonst. Sein Rumpf schien noch ein paar Grad mehr gebeugt.
Der Kroate war bis auf den letzten Platz besetzt. Das Publikum interessierte sich nicht für die Probleme im Hintergrund. Die Leute wollten essen und trinken und sich während der Mittagspause entspannen. Der Grieche fing den Ausfall des Pizzabäckers ab.
War alles Zufall, oder steckte wirklich eine Art Marktbereinigung dahinter, dass nahezu gleichzeitig zwei Gaststätten funktionsunfähig geworden waren? An
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