Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
Betriebes stehenden Gebäude konnten gemietet werden.
»Den Rest hat man zu Geld gemacht, indem man ihn weiterverkauft oder verpachtet hat. Das ging bis 1803. Von da an übernahm Erzherzog Ferdinand die Regentschaft, der das Gebiet durch den Pressburger Frieden von 1805 wieder verlor. Danach entstand ein Wirrwarr der Besitzrechte.«
Er schlug den nächsten Band auf. »Hier ist das einzige Dokument, das Aufschluss über die spätere Reaktion der Kirche gibt.«
Das Dekret war in einem solch hochgestochenen Latein verfasst, dass ich nicht viel verstand.
Pater Lutz sah mir meine Verzweiflung an und lachte mit seinem Bass.
»Es ist eine Vorschrift aus Rom, dass ab sofort keine Leistung mehr zu zahlen sei, weder an Modena noch an den Großherzog von Toscana – was Kaiser Franz seit August 1804 geworden war, weil die herzogliche Linie der Este von Modena 1803 ausstarb –, und das Bistum alle rechtlichen Mittel einsetzen solle, um seinen alten Besitzstand wiederherzustellen.«
»Und was wurde daraus?«
Der Pater kratzte sich den Bart.
»Es folgte ein Durcheinander ohnegleichen. Prozesse, die sich über Jahrzehnte hinzogen. Was letztendlich dabei herausgekommen ist, können Sie heute im Grundbuch ersehen, denn die Unterlagen, die nicht bei uns gelagert wurden, sind im letzten Krieg verbrannt.«
Ich stand wieder am Ende einer Sackgasse.
Dass der Pater mir etwas verschwieg oder nicht zeigen wollte, war bei seiner ehrlichen Art nicht wahrscheinlich. Trotzdem schien der Professor etwas gefunden zu haben, wovon nur zwei wissen konnten. Er und sein Mörder.
»Warum kennen Sie sich gerade in diesen Dokumenten so gut aus?«
Der Pater steckte die Hände in seine Kutte. »Das neunzehnte Jahrhundert war für mich eigentlich nicht interessant. Dann habe ich mich schlaugemacht, nachdem erst Professor Solvay, Gott hab ihn selig, alles auf den Kopf gestellt hat und sich danach ein italienischer Anwalt und der Sparkassenchef für genau das gleiche Jahrzehnt interessiert haben. Können Sie mir vielleicht sagen, wonach sie alle suchen?«
Einen Moment schwankte ich, entschloss mich dann aber, ihm meine Vermutung zu erzählen.
»Eine gewagte Theorie«, brummte er. »Nun, wenn ich den Professor nicht als akribischen Forscher gekannt hätte, vor dem kein Blatt Papier sicher war, würde ich sagen, dass Sie Gespenster sehen. Aber so ... besteht die Möglichkeit, dass ...«
Schnellen Schrittes eilte er in die Bibliothek. Ich folgte ihm unschlüssig.
Zielsicher schob er die Fahrleiter an ein Regal und kletterte zum letzten Regalboden hinauf.
»Sie haben mich auf eine Idee gebracht«, rang er nach Luft, als er mit dem schweren Buch wieder unten war. »Ich ahne, wonach alle gesucht haben. Aber das ist nicht an dem Ort der Kirchendokumentation.«
Sorgsam schlug er ein Blatt nach dem anderen um. Bei etwa Seite zweihundert stockte er.
»Das gibt es doch nicht!« Ein tiefes Grollen erfüllte seinen Brustkasten.
»Sehen Sie hier«, er deutete auf einen Einleitungstext, der auf Italienisch geschrieben war, »das ist die Doktorarbeit eines Theologiestudenten um die Zeit der Revolutionvon 1848 bis 49. Sie befasste sich mit dem Machtwechsel zwischen Kirche und Staat im Hinblick auf eine freiheitliche Reichsordnung. Nur ... hier fehlen eine ganze Reihe Blätter. Wurden herausgerissen.«
Ungläubig blätterte er hin und her.
»Davon müsste doch die Universität ein Exemplar haben«, versuchte ich Hoffnung zu schöpfen.
Er schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Das war zu der Zeit ein ketzerisches Werk gegen Staat und Kirche. Das hier wird wohl die einzige Ausfertigung sein.«
»Wie kommt dieses Exemplar dann hierher?«
Der Pater ließ sich seufzend in einen der Lesesessel fallen.
»Was weiß ich. Wahrscheinlich ist, dass dem Studenten die Promotion verweigert, er vielleicht als Aufständischer getötet wurde und das Werk zusammen mit anderen Schmähdissertationen der Kirche zur Sicherheitsverwahrung anvertraut wurde.«
Um nicht den letzten Rest Hoffnung zu verlieren, versuchte ich ihn zu bewegen, sich zumindest an den groben Inhalt zu erinnern.
Er sah mich von unten an. »Können Sie sich noch an das erinnern, was Sie mal vor zehn Jahren gelesen haben? Ich weiß nur, dass es sich um die Prozesse gehandelt hat, die ich vorhin erwähnt habe. Für mich war der Verfasser ein Wirrkopf, der daraus die Notwendigkeit einer Gesellschaftsreform abzuleiten versuchte.«
Traurig strich er über die Abrissstellen, als könne er damit die
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