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Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters

Titel: Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hef Buthe , luebbe digital
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ich einen großen Grappa, und Sie auch.«
    Er stürmte hinter die Bar und plapperte auf die Bedienung ein. Wie ich mitbekam, war Lisa in seiner Version schon tot. Obwohl es makaber war, hatte ich genau auf diese Reaktion gehofft. Nichts traf einen Italiener mehr als das Leid eines Kindes, auch wenn es bisher nur eine vage, durch nichts manifestierte Angst war.
    Wir kippten die Schnäpse hinunter.
    »Ich brauche Ihre Hilfe.« Dabei fächerte ich die Handschriften aus der Notensammlung vor ihm auf.
    »Jede, die ich Ihnen geben kann, Signore.«
    Er studierte Blatt für Blatt und rieb sich dabei die Nasenwurzel.
    »Das ist ein sehr altes Italienisch. Und diese Schrift ... so hat mein Urgroßvater noch geschrieben. Was wollen Sie damit?«
    Ich äußerte den Verdacht, dass Lisas Verschwinden mit diesen Dokumenten zusammenhinge, und ich müsste wissen, was da drinstand.
    »Oje. Jedes Wort?«, schaute er mich verzweifelt an.
    »Möglichst so, dass es einen Sinn ergibt.«
    »Aber das ist es ja«, jammerte er, »ich verstehe die Zusammenhänge nicht. Es ist eine Abhandlung, eine Klageschrift gegen Leute, Fürsten, Kaiser, Bischöfe, von denen ich nie gehört habe. Und dann noch in einem sehr umständlichen Italienisch.«
    Es waren die fehlenden Seiten der Dissertation. Ich hatte sie gleich an der Schrift wiedererkannt. Der Professor hatte sie also doch herausgerissen. Nur, was hatten sie in Lisas Schultasche zu suchen?
    »Signore, bitte erklären Sie mir die Zusammenhänge, dann kann ich vielleicht meinem Gehirn sagen, was es übersetzen soll.«
    Da ich selbst keine Ahnung hatte, wie was mit wem zusammenhing, versuchte ich eine Interpretation, darauf achtend, dass er nicht auf die Idee kam, sich seinen eigenen Reim zu machen.
 
    Nachdem die erste Seite für uns eine Qual gewesen war, las sich Giacco allmählich in die Materie ein, und ich hatte Mühe mitzuschreiben und gleichzeitig seiner direkten Übersetzung einen deutsch-grammatikalischen Sinn zu geben.
    Nach fast zwei Stunden hatte ich alle Bestellblöcke der Bedienungen vollgeschrieben und ein Mathematikheft aus der Schultasche zweckentfremden müssen.
    » Madonna mia «, stöhnte er. »Das soll Geschichte sein? Die waren damals noch schlimmer als die Mafia heute. Aber trotzdem verstehe ich nicht, was das mit der kleinen Lisa zu tun haben soll. Die sind doch alle tot.«
    Genau das schien eben nicht der Fall zu sein. Aber ich musste mir das noch einmal in Ruhe durchlesen und mit den bereits vorhandenen Bruchstücken in Verbindung bringen.
    Wie es aussah, war ich jetzt genauso weit wie der Professor und an der Stelle, an der er sein Wissen mit dem Leben bezahlen musste. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Plötzlich wurden die Gäste im Café zu Spionen, die nur darauf lauerten, auch mich mitsamt meinem Wissen ins Jenseits zu befördern.
    Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, Giacco als Übersetzer zu nutzen. War seine Freundlichkeit nur gespielt, um zu erkunden, wie weit ich mit den Recherchen vorgedrungen war? Überhaupt schien er der einzige Wirt am Platz zu sein, der keinen Ärger hatte. Das machte ihn verdächtig.
    Rächte sich jetzt der große Unbekannte an einem Kind?
    »Ganz ruhig. Bleib auf dem Boden«, zwang ich mich diesen Gedankenkreisel zu verlassen.
    Mit überzogener Höflichkeit bedankte ich mich und verließ mit erzwungen ruhigem Schritt das Café.
    Die Schultasche presste ich an mich, als solle sie mit mir zusammenwachsen. Die Dokumente und die Übersetzung hatte ich vorne in den Hosenbund gesteckt und das Hemd darüber gezogen. Ich hatte das Gefühl, als würde sich jeder auf dem Platz plötzlich nur für mich interessieren.
    Wie ein gehetztes Tier erreichte ich den Taxistand. Dem Fahrer gab ich als Ziel eine andere Straße, zwei Blocks entfernt von Gerdas Wohnung an.
    Auf der Fahrt ertappte ich mich dabei, nach Fahrzeugen Ausschau zu halten, die uns folgten.
    Das war also Angst. Dieses Gefühl vor dem Unbekannten, Unsichtbaren. Aus ein paar Fakten zauberte das Gehirn ein Horror-Szenario, das sich wie ein schlechtes Drehbuch verselbstständigte, den ganzen Organismus in Alarm versetzte, ohne noch auf die Logik zu achten, die vor wenigen Augenblicken noch der Auslöser gewesen war.
    Ich hatte es mit einem Gegner zu tun, da war ich mir sicher, der unter allen Umständen versuchen würde, jeden zu beseitigen, der weiter in seiner Vergangenheit schnüffelte.
    Wie ein flüchtiger Ladendieb schlich ich zur Wohnung. Ich bildete mir ein,dass meine

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