Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
mir bisher erzählen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Solange ich keine handfesten Beweise für alles habe, halte ich Sie für einen Aufschneider und Lügner.«
Lutz steckte sich den letzten Bissen Lachsbrötchen in den Mund und leckte sich die Finger ab.
»Ich sehe schon, Sie verstehen keinen Spaß. Also, kommen Sie mit.«
Mit langen Schritten eilte er mir voraus.
Das Kaminzimmer sah bei Tageslicht und geöffneten Vorhängen wie ein Rittersaal aus. Der bei jedem Schritt knarrende Holzboden fiel mir erst jetzt auf.
Lutz setzte sich an den Schreibtisch, dessen Lampe letzte Nacht verzweifelt versucht hatte, gegen das Kaminfeuer anzuleuchten, und hieß mich ihm gegenüber Platz zu nehmen. Er stützte sich mit gekreuzten Armen auf die Tischplatte und fixierte mich.
»Sie sollen die Erklärungen haben und machen heute noch eine Story daraus. Einverstanden?«
»Hängt von der Logik und den Beweisen ab«, versuchte ich mich nicht wieder nach Simonte-Art überrumpeln zu lassen.
»Lesen Sie das ...«, er schob mir ein Schreiben hin, das den Briefkopf der Simonte’schen Kanzlei trug.
Es war eine Abmahnung an Gerda, mit dem Hinweis, dass er, Dr. Simonte, gegebenenfalls alle Maßnahmen ergreifen würde, um weitere Äußerungen ihrerseits zu unterbinden, dass der Tod seiner Frau und Tochter kein Unfall gewesen sei.
Lutz nahm das Schreiben wieder an sich.
»Ich weiß nicht, was da gelaufen ist, aber ich habe mich in Italien umgehört. Und tatsächlich war man nicht von einem Unfall überzeugt. Da muss der Professor drauf gestoßen sein, um es Simonte heimzuzahlen oder um nicht weiter mit den Schulden seiner Tochter erpresst zu werden. Sie verstehen?«
»Kein Wort«, log ich und setzte ein weiteres Teil in mein Puzzle.
Lutz zog die Augenbrauen kurz hoch. »Denken Sie sich ruhig Ihren Teil. Auf jeden Fall musste Lisa aus der Schusslinie. Gerda bat mich darum.«
»Wie bitte?«
»Ja, vor ihrem Tod. Sie waren sich der Gefährlichkeit Simontes nicht bewusst, boten also keinen Schutz. Im Gegenteil, mit dem Beginn Ihrer Schnüffelei brachten sie Mutter und Tochter in immer größere Gefahr. Da habe ich kurzerhand das Kind – wohlgemerkt, auf die Bitte von Frau Solvay und mit Lisas Einverständnis – an einen sicheren Ort gebracht.«
Mir war, als täte sich ein abgrundtiefer Schlund vor mir auf. Einen Moment wurde mir schwindelig. Der Pater drehte sich mit dem Raum um mich. Mein Puls klopfte in den Ohren, mein Herz raste, und meine Hände krampften sich schweißnass um die Stuhllehnen, um zu verhindern, dass ich in den Raum geschleudert wurde.
»Ist Ihnen nicht gut?«, hörte ich seine Stimme aus der Ferne.
Als ich die Augen wieder öffnete, beugte sich das Gesicht von Pater Orchus über mich.
»Geht es wieder?«, hörte ich die Stimme von Lutz.
»Geben Sie ihm einen Cognac. Gleich einen doppelten. Der muss noch ein bisschen fit bleiben.«
»Weiter. Ich höre«, riss ich mich zusammen. »Warum dann dieser Zirkus mit der angeblichen Entführung und dem Austausch der Dokumente?«
»Das hängt mit diesem verschwundenen Testament und Eibel zusammen.«
Ich musste mich zusammennehmen. Meine Ohren begannen wieder zu rauschen.
»Dass Otto ein Testament gemacht hat, gefällt mir nicht, und dass es jemand hat, den ich nicht kenne, schon gar nicht. Das könnte meine Pläne durchkreuzen. Da ich Ihnen auch nicht so ganz traute, musste ich Eibel auf Trab bringen, damit er Ihnen auf die Finger schaute. Da Eibel aber keine Lust mehr hat, sich vor seiner Pensionierung noch einen Fall ans Bein zu binden, musste ich ein wenig Spannung hineinbringen, und ... Eibel ist ein Wasserträger.«
»Verstehe ich nicht«, lallte ich. Es wurde langsam anstrengend, mich darauf zu konzentrieren, welches Sinnesorgan ich gerade noch funktionsfähig halten wollte. Etwas ließ mich langsam die Kontrolle über mich verlieren.
»Eibel ist ein Schleimer und versorgt für Geld jeden mit Informationen. Daher musste ich es für ihn interessant machen, Ihnen zu folgen. Damit wollte ich zugleich auch den Unbekannten aus seinem Bau locken, dem er wahrscheinlich die Information brühwarm verkauft hatte. Da beide ja nicht wussten, wohin ich Sie dirigierte, musste jeder an Ihnen dran bleiben. Eibel gab sich mit der Verhaftung von Enrico zufrieden und ließ von Ihnen ab. Der andere, der von Enricos Verhaftung nichts wusste, folgte Ihnen weiter. Er sucht Sie übrigens immer noch im Münster. Nur, leider, leider ist es der Unbekannte nicht selbst, sondern
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