Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
von Fragen prasselten auf mich ein, Dutzende von Mikrofonen und Rekordern fuchtelten mir vor dem Gesicht herum.
So wolltest du es doch , meldete sich mein Kobold aus der Ecke. Aber um mir den Fortgang meiner Story nicht zu versauen, musste ich mit meinen Antworten wie auf rohen Eiern balancieren. Ein falsches Wort von mir, wie das gegenüber Simonte mit der Sabotage, und die Story würde Beine kriegen und in alle möglichen Richtungen davonlaufen. Und ich könnte mir den Deich schon einmal aussuchen, von dem aus ich in Zukunft die Wellen zählen würde.
Ich hatte nur die Chance, dass meine Kollegen schneller müde wurden als ich, oder die Flucht in die Nacht.
Nach einer Stunde des Katz-und-Maus-Spiels zog ich die Flucht in die Küche vor, die Frau Gerster hartnäckig gegen nachrückende Kollegen verteidigte.
»Ihnen habe ich alles zu verdanken«, jubelte sie und rührte einen Kuchenteig an. »Durch den Tod meines Mannes bin ich schuldenfrei und habe noch eine nette Summe übrig.«
Sie mischte Schokoladenpulver unter den Teig und legte mir noch zwei Knödel nach.
»Ich bin sozusagen mit einem Schlag eine gute Partie.« Sie zwinkerte mir zu und mixte eine halbe Flasche Schnaps unter den Teig.
»Ich mag Männer, die etwas bewegen und eine gute Köchin zu würdigen wissen. Diese dürren Typen nerven ... und sterben früh.« Sie machte eine Drehbewegung um sich selbst, als führe sie Kleider für Mollige auf dem Laufsteg vor.
»Warum sind diese Journalisten hier? Gibt es kein anderes Hotel?«, versuchte ich von mir als möglichem Heiratskandidaten abzulenken.
»Weil ich clever bin und die anderen Gastronomen nicht. Als ich den Artikel heute Morgen gelesen habe, war mir sofort klar, dass das einen Medienansturm gibt, und ich habe denen bei der Hotelvermittlung gesagt, dass bei mir Journalisten bevorzugt ein Bett bekommen. Das Essen ist frei. Und siehe da, die sind froh, ein gemütliches Zimmer, Parkplätze für ihre Autos und Essen rund um die Uhr zu kriegen. Zum Glück hat sich mein Mann einmal gegen mich durchgesetzt, damit jedes Zimmer über einen Internetanschluss verfügt. Ich habe das für eine Spinnerei gehalten, damit er sich heimlich Pornos anschauen kann. Aber nun bin ich das einzige Hotel im ganzen Landkreis, das so etwas bietet. Und stellen Sie sich vor, morgen kommt das Fernsehen, und der Bürgermeister soll interviewt werden und auch die Geschäftsleute und der Erzbischof ...«
Ihr Wortschwall mutierte in meinen Ohren von einem reißenden Fluss zu einem Rauschen und dann zu einem in der Ferne gurgelnden Bach.
Ich klemmte mir die Flasche Schnaps unter den Arm und suchte mein Zimmer auf. Ruhe. Endlich Ruhe war alles, was ich wollte.
Bevor ich mich besinnungslos trinken würde, fasste ich die Neuigkeiten des Tages an die Redaktion zusammen und setzte die Mail ab.
Schweißgebadet wachte ich auf und versuchte festzustellen, wo ich war. Es war schon hell. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis sich der Nebel vor meinen Augen so weit lichtete, dass ich meine Füße erkennen konnte.
Otto war mir in der Nacht begegnet und hatte mich mit seiner knarzigen Stimme einen Narren geheißen, der auf ein dummes Spiel hereinfällt. Dann war sein hämisches Kichern in ein tosendes Gelächter übergegangen, das mit zunehmender Entfernung immer mehr Hall und dann zum Echo wurde.
»Mögen Sie noch Frühstück oder gleich Mittagessen?«, fragte Frau Gerster. Die Frage hatte ich doch schon mal gehört. Ich bestellte ein Bauernfrühstück.
»Warum sind Sie nicht bei Ihren Kollegen? Die sind heute alle im Rathaus zusammen mit den Wirten, Geschäftsleuten und Händlern vom Münsterplatz. Die wollen vom Oberbürgermeister wissen, was die Stadt tun will, wenn sich der geheimnisvolle Erbe durchsetzt.«
Mir war es egal, was der Bürgermeister oder sonst wer sagen würde. Niemand konnte wissen, was Pater Lutz tatsächlich plante. Die Einzigen, die jetzt den Inhalt des Testaments kannten, waren der Notar und der Richter des Nachlassgerichts. Bevor dessen Inhalt dem Erben nicht zugänglich gemacht worden war, waberte alles nur als Spekulation durch den Raum.
Meine anfängliche Hybris, mehr als alle anderen zu wissen, wich langsam der Erkenntnis, dass ich ein Werkzeug gewesen war, das seinen Dienst erfüllt und somit ausgedient hatte. Nicht Lutz war in Gefahr. Ich wusste zuviel. Etwas Besseres konnte meinen Kollegen nicht passieren, als über den ungeklärten Tod des Urhebers einer Titelseite zu berichten. Danach wuchs wieder
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